Stadt|museum

Ein Jahr ist es jetzt her, dass ich das letzte Mal in einem Museum war. Im Musée de Cluny in Paris, um genau zu sein, und damals, im fernen Jänner 2020, war meine größte Sorge, dass in der französischen Hauptstadt die Öffis streikten und nur alle zwanzig Minuten eine Schnellbahn verkehrte. Im Nachhinein betrachtet ein geradezu lächerliches Problem … Heute, wo sich mein Bewegungsradius auf meine unmittelbare Wohnumgebung beschränkt, erscheint ein Trip nach Paris als fast schon utopisch.

Ich muss gestehen, dass ich ein knappes Jahr ohne Reisen und ohne Museumsbesuche besser ausgehalten habe, als ich selbst gedacht hätte, doch in den letzten paar Wochen merke ich zunehmend, wie ich beginne, diese Dinge langsam doch zu vermissen. Aber gottseidank ist eine große alte Stadt wie Wien ja selber eine Art Freilichtmuseum. So begegne ich bei den Spaziergängen durch mein Grätzel im Dritten Bezirk auf Schritt und Tritt barocken Heiligenfiguren, Fassadenreliefs aus dem Biedermeier oder Denkmälern aus der Ringstraßen- und der Zwischenkriegszeit.

Am meisten freuen mich zur Zeit jedoch die bunten Mosaike, die man an vielen Wohnbauten aus den 1950er- und 1960er-Jahren findet. Gerade in diesem so sonnenarmen Winter sind sie willkommene Farbtupfen in der sonst grauen Stadt. Viele dieser Mosaike nehmen inhaltlich Bezug auf die Lokalgeschichte. Zusammen betrachtet, bilden sie also nicht nur so etwas wie ein Kunst-, sondern auch ein stadthistorisches Museum. In diesem und im folgenden Post will ich eine Auswahl davon präsentieren – quasi mein ganz persönliches Museum vor der Haustür.


Mosaik Wiener Neustädter Kanal, 1965
Hafengasse 3, 1030 Wien

Das 1965 entstandene Werk erinnert an den 1803 eröffneten Kanal, der bis zu seiner (teilweisen) Trockenlegung im späten 19. Jahrhundert Wien mit Wiener Neustadt verband. Ansichten dieser beiden Städte markieren das obere und das untere Ende des hochformatigen Bildfelds. Dazwischen schlängelt sich eine schematische Darstellung der Wasserstraße, auf der Lastenkähne mit Pferden getreidelt werden. Der Wiener Neustädter Kanal diente vor allem zum Transport von Holz, Ziegeln und Kohle aus dem Raum südlich der Donau in die Hauptstadt. Der Wiener Hafen des Kanals lag ursprünglich dort, wo sich heute der Bahnhof Wien Mitte befindet. 1848/49 wurde er jedoch rund zwei Kilometer stadtauswärts, an die heutige Aspangstraße verlegt. Von diesem ‚neuen‘ Hafenbecken hat die dort einmündende Hafengasse ihren Namen.


Hans Fischer, Mosaik Wiener Neustädter Kanal, 1969
Aspangstraße 15, 1030 Wien

Das Mosaik von Hans Fischer bildet ein schmales, langgezogenes Band, das sich zwischen dem Erdgeschoß und dem ersten Stock eines 1967–69 errichteten Wohnbaus erstreckt. Das Haus befindet sich ebenfalls in der Umgebung des Kanalhafens von 1848/49. Das Mosaik beginnt links mit der nahegelegenen Waisenhauskirche am Rennweg und der ehemaligen Toranlage, die an der Mautstelle beim Linienwall den Kanal überspannte. (Möglicherweise orientierte sich der Künstler bei dieser Partie an einer Ansicht des Kanals aus der Zeit um 1840.) Es folgen die Darstellung einer Schleuse und eines vollbeladenen Lastenkahns, der wiederum am Ufer getreidelt wird. Am rechten Ende des Bildes hingegen sieht man eine Dampflok und den ehemaligen Aspangbahnhof. Dieser wurde 1880/81 an der Stelle des Kanalhafens errichtet. Gleichzeitig wurde der Kanal in seinem Wiener Verlauf aufgegeben und durch eine Bahnstrecke ersetzt. So vereint Fischer in seinem Mosaik zwei unterschiedliche Zeitschichten. (Was hingegen ausgespart bleibt, ist, dass der Aspangbahnhof 1938 bis 1942 Ausgangspunkt der Deportationen von Wiens jüdischen Bürger:innen war. An diesen Teil der örtlichen Geschichte erinnert erst seit 2017 ein eigenes Mahnmal.)


Robert Aigner, Mosaik Scharlachrennen, 1955
Franz Seitler-Hof, Sebastianplatz 5, 1030 Wien

Eine der wichtigsten Straßen im Wiener Dritten Bezirk ist der Rennweg. Er verdankt seinen Namen dem ‚Scharlachrennen‘ – einem Pferderennen, das von 1382 bis 1534 zweimal jährlich, jeweils zu den beiden Wiener Jahrmärkten an Christi Himmelfahrt und zum Katharinentag (25. November), stattfand. Die Strecke verlief von St. Marx über den Rennweg zum Wienfluss und dann über die Ungargasse zurück nach St. Marx. Der Sieger erhielt als Preis eine Stoffbahn aus Scharlach, einem kostbaren roten Wollgewebe, der Zweitplatzierte eine Armbrust. Diese Trophäen präsentieren auch zwei der Reiter, die in Robert Aigners Mosaik Scharlachrennen frei auf eine Wandfläche am Franz Seitler-Hof, unweit der Ungargasse, gesetzt sind. Der dritte Reiter trägt dagegen ein weißes Barchenttuch über dem Arm. Dieses war der Preis in einem Wettlauf zwischen jungen Burschen und Mädchen, der traditionell unmittelbar nach dem Scharlachrennen abgehalten wurde.


Mosaik Scharlachrennen
J. C. Böck-Greissau-Hof, Mohsgasse 37, 1030 Wien

Das Mosaik nimmt eine leere Wandfläche an der Ecke eines Wohnbaus aus der Zwischenkriegszeit ein. Es ist weder signiert noch datiert, stilistisch spricht jedoch nichts dagegen, seine Entstehung gleichzeitig mit dem Gebäude anzusetzen. Das schmale Bildfeld erstreckt sich in der Höhe über mehr als zwei Geschoße. Auffällig ist, dass seine Ränder nicht geradlinig sind, sondern den Konturen und den Bewegungen der Figuren folgen. Obwohl das Sujet durch eine Inschrift in Fraktur als ‚Scharlachrennen‘ identifiziert wird, ist doch nicht das eigentliche Scharlachrennen dargestellt, sondern der anschließende Wettlauf der Burschen und Mädchen. Zuoberst schließlich erblickt man eine Dame, die einen Siegeskranz herbeiträgt. Während die Wettlaufenden in nur schwer einordenbarer Kleidung erscheinen, tragen die Dame und der sie begleitende Page die höfische Tracht des Spätmittelalters und verleihen dem Mosaik damit eine gleichermaßen historische wie märchenhafte Anmutung.

[Fortsetzung folgt …]

Der schwarze König des Wiener Schottenaltars

Die Anbetung der Könige, vom Wiener Schottenaltar, um 1470
Belvedere, Wien
[Bild: © Belvedere, Wien, Lizenz: CC BY-SA 4.0]

Die Anbetung der Heiligen Drei Könige vom ehemaligen Hochaltar der Wiener Schottenkirche zählt zweifellos zu den Höhepunkten der Mittelaltersammlung im Belvedere. Um 1470 entstanden, war das Gemälde ursprünglich Teil eines monumentalen Flügelretabels, von dem heute noch 21 Bildtafeln – die meisten im Museum des Schottenstifts – erhalten sind. Der Name des ausführenden Künstlers ist leider nicht überliefert, er wird daher in der Regel als ‚Meister des Schottenaltars‘ oder einfach als ‚Schottenmeister‘ bezeichnet.1 Von den 1460er Jahren bis um 1480 war er die führende Malerpersönlichkeit Wiens. Auch wenn die ältere Forschung in ihm gerne einen autochthonen Wiener gesehen hätte, kann mittlerweile als erwiesen gelten, dass er seine künstlerische Ausbildung im Umfeld von Hans Pleydenwurff in Nürnberg erhielt.2

Die Flucht nach Ägypten, vom Wiener Schottenaltar um 1470
Museum im Schottenstift, Wien
[Bildquelle: Wikimedia Commons, gemeinfrei]

Zu den Dingen, die der Schottenmeister bei Pleydenwurff lernte, zählt nicht zuletzt das direkte Naturstudium, was in der mitteleuropäischen Malerei um 1460 noch keine Selbstverständlichkeit war. Besonders evident ist es in den berühmten Wien-Ansichten, die auf einigen Tafeln des Schottenaltars, etwa der Flucht nach Ägypten, den Hintergrund bilden. Es zeigt sich aber auch in den oft porträthaft wirkenden Zügen der biblischen Figuren, die mit großem Realismus dargestellt sind.

Detail aus der Anbetung der Könige, vom Wiener Schottenaltar
Belvedere, Wien
[Bild: © Belvedere, Wien, Lizenz: CC BY-SA 4.0]

Vor dem Hintergrund des vorigen Beitrags drängt sich mir an dieser Stelle die Frage auf, wie es sich diesbezüglich mit dem schwarzen König im Bild der Anbetung verhält. Wäre es denkbar, dass dieser auf einer Porträtskizze basiert, dass er die Züge eines Schwarzen Menschen trägt, der im 15. Jahrhundert wirklich gelebt hat? Die Frage lässt sich, meiner Meinung nach, mit einem vorsichtigen Ja beantworten. Damit möchte ich keineswegs behaupten, dass es sich definitiv um ein Porträt handelt, aber für zumindest denkbar halte ich diese Möglichkeit doch. Zum Verständnis dieser Überlegung ist es allerdings notwendig, ein klein wenig auszuholen und zunächst von der Reise des böhmischen Gesandten Jaroslav Lev von Rosental zu erzählen…

Im Auftrag seines Schwagers, des böhmischen Königs Georg von Podiebrad, besuchte Lev von Rosental in den Jahren 1465–1467 die wichtigsten Fürstenhöfe Europas. Am 26. November 1465 brach er mit vierzig Begleitern, 52 Pferden und einem Kammerwagen von Prag auf. Der erste größere Zwischenstopp war in Nürnberg, wo sich weitere Begleiter dem Zug anschlossen, unter anderem der Nürnberger Patrizier Gabriel Tetzel, der später einen ausführlichen Bericht über die Reise verfasste.3

Über Frankfurt und Köln reisten Lev von Rosental und sein Gefolge nach Brüssel, wo ihnen am Hof des burgundischen Herzogs Philipps des Guten ein prachtvoller Empfang bereitet wurde. Nächste Station war England, von dort ging es wieder zurück über den Ärmelkanal und dann durch das westliche Frankreich auf die Iberische Halbinsel, wo die Gesandtschaft die Könige von Kastilien, Portugal und Aragon traf.

An dieser Stelle kommt Gabriel Tetzel in seinem Reisebericht auch auf die Verhältnisse im „morenland“ zu sprechen, d. h. im nordwestlichen Afrika, zu dem die iberischen Königreiche vielfältige Beziehungen unterhielten. Die Portugiesen hatten sich durch die Eroberung der Hafenstädte Ceuta (1415) und Ksar es-Seghir (1458) auch selbst bereits im heutigen Marokko festgesetzt und damit die Ära des europäischen Kolonialismus eingeleitet. Von Anfang an spielte der Handel mit schwarzen Sklaven darin eine bedeutende Rolle. „Umb ein tuch, das X oder zwelf gulden wert ist“, berichtet Tetzel vom Hörensagen, könne man in Nordafrika „funf oder sechs moren darumb bekumen, wann es ist gar grosser mangel in dem land an tuchen.“ Die portugiesischen Kaufleute brächten daher „vil moren und heiden über mer.“ In Lissabon etwa, wo damals gerade die Pest wütete, seien allein während der Epidemie über 3000 „moren und mörin“ gestorben.4

Wegen der grassierenden Seuche hatte der portugiesische König Alfons V. Lissabon verlassen und seinen Hof temporär nach Evora verlegt. Dort trafen ihn Lev von Rosental und seine Begleiter. Zwei Wochen lang blieben sie in Evora, wo sie vom König bewirtet und mit ‚exotischen‘ Geschenken bedacht wurden, darunter „vil leparden-häut und vil bogen, tarschen, länzlein und ander heidnische waffen.“ Die kostbarsten Gaben, die sie erhielten, waren jedoch „zwey pferd, zwen moren, zwen affen.“5 Fast beiläufig spricht Tetzel hier von zwei Menschen als einem diplomatischen Geschenk und mit der größten Selbstverständlichkeit stellt er sie in eine Reihe mit Affen und Pferden, auf eine Stufe mit Tieren.

Die beiden versklavten und verschenkten Schwarzen begegnen in Tetzels Reisebeschreibung noch ein weiteres Mal, nämlich kurz vor der Heimkehr der Gesandtschaft nach Böhmen. Der Rückweg von Portugal führte Lev von Rosental und seine Begleiter durch Südfrankreich, Norditalien und schließlich Österreich, wo sie Anfang 1467 anlangten. In Graz trafen sie Kaiser Friedrich III., wenige Tage später in Wiener Neustadt dessen Frau, Eleonore von Portugal. Da gerade Fasching war, blieben sie über eine Woche an ihrem Hof und verbrachten die Zeit mit Tänzen und anderen Vergnügungen. Das Vergnügen lag aber nicht zuletzt auf Seiten der Kaiserin, denn Eleonore war die Schwester des zuvor erwähnten Alfons V. Sie hatte Portugal 1451 als Fünfzehnjährige verlassen, um den Habsburger Friedrich III. zu heiraten, und seither weder ihren Bruder noch ihr Heimatland wiedergesehen. Der Besuch der böhmischen Gesandtschaft war für sie also eine ebenso seltene wie willkommene Gelegenheit, sich nach daheim zu erkundigen. Sie fragte daher angelegentlich, wie es den Reisenden in Portugal ergangen war, und freute sich über einen Brief ihres Bruders, den dieser für sie mitgeschickt hatte, sowie über die portugiesischen Tänze, die Lev von Rosentals Lautenist auf der Reise gelernt hatte. Insbesondere aber, so Tetzel, hatte sie „die allergrosste freud, wenn sie die moren und affen sach, die ir bruder der kunig von Portigal meinem herrn geschenkt hat.“6

Die beiden Schwarzen waren also auch in Österreich noch Teil der Entourage Lev von Rosentals. Danach verliert sich meines Wissens ihre Spur, und es ist nicht bekannt, wie es ihnen in Mitteleuropa weiter erging. Ich halte es jedoch für naheliegend, dass sie die Reise bis zum Ende mitmachen mussten und entweder an den Prager Königshof oder auf Lev von Rosentals Stammschloss Blatná in Südböhmen gebracht wurden.

Damit sind wir nun wieder beim ursprünglichen Thema, beim schwarzen König des Wiener Schottenaltars angekommen. Auf seinem Rückweg von Wiener Neustadt nach Böhmen kam Lev von Rosental nämlich im Frühjahr 1467 auch durch Wien. Es ist wohl anzunehmen, dass er und seine Gefolgschaft in der Stadt einiges Aufsehen erregten, denn nicht nur handelte es sich um eine große Reisegesellschaft, sondern vermutlich auch um einen ausgesprochen prachtvollen Zug: Tetzel beschreibt zu Beginn der Reise, dass die Dienerschaft ganz in Rot gekleidet war, mit Gewändern von Gold und von Samt, und mit Perlenbesatz an den Ärmeln.7 Es wäre also durchaus denkbar, dass auch der Schottenmeister den Zug zu Gesicht bekam, und es wäre ebenso denkbar, dass er mit Papier und Stift oder Feder anrückte und die beiden Schwarzen skizzierte, um ihr Bildnis später in einem Gemälde wie der Anbetung der Könige zu verwenden.8

Detail aus der Anbetung der Könige, vom Wiener Schottenaltar
Belvedere, Wien
[Bild: © Belvedere, Wien, Lizenz: CC BY-SA 4.0]

Es besteht also zumindest die Möglichkeit, dass wir im schwarzen König des Schottenaltars das Porträt eines Mannes vor uns haben, der in Nordafrika versklavt, nach Portugal verkauft, dort an einen böhmischen Gesandten verschenkt und von diesem nach Mitteleuropa verschleppt wurde. Trifft diese Annahme zu, dann war der Mann, der im Gemälde als stolzer König erscheint, in Wirklichkeit ein Versklavter – ein Mensch, dem man in Europa weniger Wert beimaß als dem eleganten Brokattuch, aus dem im Bild seine Kleidung besteht. All das ist natürlich bloße Spekulation, schon allein, weil wir nicht einmal mit Sicherheit sagen können, ob sich der Schottenmeister im Frühjahr 1467 überhaupt in Wien aufhielt. Es ist aber doch keineswegs völlig unrealistisch, und allein die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, eröffnet neue Blickweisen auf das Bild und zwingt uns, die so vertraute Figur des schwarzen Königs mit anderen Augen zu sehen.


1. Dass ich hier von einem Künstler bzw. Meister im Singular spreche, ist streng genommen eine Vereinfachung. Tatsächlich wurde der Wiener Schottenaltar von einer größeren Werkstatt geschaffen, in der mehrere Maler und Bildhauer zusammenarbeiteten. Unter dem ‚Schottenmeister‘ hat man sich also einen Werkstattleiter vorzustellen, der zwar für den Stil des Ateliers maßgeblich war, aber keineswegs alle Arbeiten selbst ausführte.

2. Vgl. Robert Suckale, Die Erneuerung der Malkunst vor Dürer, Petersberg 2009.

3. Tetzels Bericht ist publiziert in: Des böhmischen Herrn Leo’s von Rožmital Ritter-, Hof- und Pilger-Reise durch die Abendlande 1465–1467. Beschrieben von zweien seiner Begleiter, Stuttgart 1843, S. 143–196. [Online auf Google Books]

4. Ebd., S. 180–181.

5. Ebd., S. 182–183.

6. Ebd., S. 195.

7. Ebd., S. 145.

8. Erinnert sei hier nur an Albrecht Dürer, der einige Jahrzehnte später die schwarze Dienerin eines portugiesischen Kaufmanns in Antwerpen porträtierte. [Mehr dazu auf Black Central Europe]