Burg Kreuzenstein als Stummfilmkulisse (Teil 1)

Burg Kreuzenstein auf einer Fotografie aus dem Jahr 1916
[Bildquelle: Österreichische Nationalbibliothek/ANNO]

Ein kleines Stück nordwestlich von Wien, auf einer Anhöhe über der Donau, liegt die vielen sicher bekannte Burg Kreuzenstein. Mit ihren Türmen und Türmchen, ihren Zinnen, Wehrgängen und spitzen Dächern wirkt sie wie das Idealbild einer alten Ritterburg, und genau als ein solches Ideal wurde sie in den Jahren um 1900 auch erbaut.

Zugegeben, an derselben Stelle befand sich tatsächlich schon seit dem 12. Jahrhundert eine Burg, doch diese wurde im Dreißigjährigen Krieg von den Schweden gesprengt. Die Ruine wurde darauf für gut zweihundert Jahre von den Bauern der Umgebung als frei verfügbarer ‚Steinbruch‘ für Baumaterial genutzt. So waren Ende des 19. Jahrhunderts nur noch wenige Mauerreste von der alten Burg Kreuzenstein übrig. 1874 jedoch entschloss sich der damalige Besitzer der Anlage, Graf Hanns Wilczek, zum ‚Wiederaufbau‘, der de facto ein Neubau in historisierenden Formen war. In gewisser Weise stellt diese neue Burg Kreuzenstein auch eine architektonische Collage dar, denn einzelne Bauteile wurden tatsächlich von verschiedenen mittelalterlichen Gebäuden entnommen und hier in neuem Kontext wiederverwendet, bei anderen Bau- und Zierelementen handelt es sich um exakte Kopien mittelalterlicher Originale.

Burg Kreuzenstein auf einer Fotografie aus dem Jahr 1916
(Das Bild zeigt den Burghof mit dem sog.
Kaschauer Domgang, einer Arkadenreihe aus der Zeit um 1450, die ursprünglich vom Dom in Kaschau/Košice stammt)
[Bildquelle: Österreichische Nationalbibliothek/Anno]

Das Ergebnis ist eine idealisierte ‚Musterburg‘, die vor allem auf ein romantisches Erscheinungsbild abzielt und sich mehr an modernen Mittelalterklischees orientiert als an ‚authentischen‘ Burganlagen des Mittelalters. Gerade deshalb wurde Kreuzenstein unmittelbar nach der Fertigstellung im Jahr 1906 zu einer beliebten Sehenswürdigkeit – und zur vielgenutzten Filmkulisse.

Wie Andreas Nierhaus in seiner grundlegenden Monographie zu der Burg ausführt, war sie „von Anfang an (…) nicht allein billiger Ersatz für aufwändige Kulissenbauten, sondern durch die spezifische Form ihrer Architektur dazu prädestiniert, in Filmbilder übertragen zu werden.“ Denn, so fährt er fort: „Wie Filmblut, das für gewöhnlich ein stärkeres Rot als in der Realität besitzt, so könnte man das Mittelalter von Kreuzenstein ein bereits für die spätere mediale Übertragung verstärktes Film-Mittelalter nennen.“1

Vor allem seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurden daher auf Kreuzenstein zahlreiche Filme gedreht, darunter Heimatfilme, Horrorstreifen und Softpornos. Der Schwerpunkt lag und liegt aber naturgemäß auf Produktionen aus dem Historien- und Fantasy-Genre; aus jüngster Zeit sind etwa der Kinderfilm Hexe Lilli rettet Weihnachten (2017) oder die Netflix-Serie The Witcher (2019) zu nennen.2 Nicht ohne Grund spricht Nierhaus in der oben zitierten Passage aber davon, dass die Burg „von Anfang an“ als Filmkulisse diente, denn tatsächlich wurde sie bereits während der Stummfilm-Ära immer wieder als Drehort verwendet. Nierhaus selbst etwa behandelt in einem weiter gefassten Abschnitt zur medialen Rezeption von Kreuzenstein exemplarisch zwei Produktionen aus dem Jahr 1912, Die Burg Kreuzenstein bei Wien und Das Mirakel.3

Burg Kreuzenstein auf einer Fotografie aus dem Jahr 1918
[Bildquelle: Österreichische Nationalbibliothek/ANNO]

Unlängst bin ich nun – wieder einmal auf der Suche nach ganz etwas anderem – in einem Zeitungsbericht aus dem Jahr 1920 auf einen weiteren Stummfilm gestoßen, der auf Burg Kreuzenstein gedreht wurde. Neugierig geworden, begann ich darauf, weiter in den von der Nationalbibliothek digitalisierten Medien aus jener Zeit zu stöbern und fand tatsächlich noch einige andere einschlägige Stummfilme, die heute weitgehend vergessen sind und meines Wissens auch in der Literatur zu Kreuzenstein bislang nicht vorkommen. Damit nun auch andere etwas von meiner Neugier haben, will ich hier einmal alle mir inzwischen bekannten Stummfilme mit Kreuzenstein als Drehort zusammenstellen. Die nach wie vor kurze Liste kann natürlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben, bietet aber, wie ich finde, auf jeden Fall interessante Einblicke in die Rezeptionsgeschichte der Burg und in die österreichische Filmgeschichte der 1910er- und 1920er-Jahre:

1) Die Burg Kreuzenstein bei Wien, Österreich 1912
Produktionsfirma: Sascha, Wien. Regie: Sascha Graf Kolowrat.

Dieser frühe Dokumentarfilm hatte, wie der Titel schon suggeriert, die Burg selbst zum Gegenstand. Da er leider nicht erhalten ist, lassen sich über die Details seiner Gestaltung keine näheren Angaben machen. Sicher ist, dass es sich um ein recht kurzes Werk handelte: Zeitgenössische Verleihlisten geben die Länge des Films mit rund 100 Metern an, was einer Laufzeit von etwa fünf Minuten entspricht.4


Filmszene aus Das Mirakel (im Burggraben von Kreuzenstein)
[Bildquelle: Youtube]

2) Das Mirakel, Großbritannien 1912
Produktionsfirma: Joseph Menchen. Regie: Michel Carré und Max Reinhardt.
Hauptdarsteller*innen: Maria Carmi, Douglas Payne, Florence Winston.

Das mit großem Aufwand produzierte Mittelalterspektakel basiert auf dem gleichnamigen Bühnenstück von Karl Gustav Vollmoeller (mit Musik von Engelbert Humperdinck), das wiederum auf eine mittelalterliche Legende zurückgreift. Es handelt von einer jungen Nonne, die von einem Ritter verführt wird und darauf ihr Kloster verlässt, um sich einem unsteten Wanderleben voll weltlicher Genüsse hinzugeben. Als sie viele Jahre später reumütig ins Kloster zurückkehrt, stellt sie fest, dass man ihr Fehlen dort gar nicht bemerkt hat – die Gottesmutter Maria nämlich hat sich ihrer erbarmt und die ganze Zeit ihren Platz im Konvent eingenommen.

Das Mirakel war eine der ersten großen Kinoproduktionen, die nicht im Studio, sondern durchgängig ‚on location‘ gedreht wurde. Die Aufnahmen fanden im Herbst 1912 in der Umgebung von Wien statt: Für die Szenen im Kloster diente die spätgotische Pfarrkirche von Perchtoldsdorf als Kulisse, für die Episoden aus dem weltlichen Leben der entlaufenen Nonne hingegen Burg Kreuzenstein. Wie es in einem zeitgenössischen Bericht heißt, bewirteten der damals noch lebende Erbauer der Burg, Graf Wilczek, und seine Gemahlin „die Darsteller und Statisten in einer Pause in zuvorkommendster Weise.“5

Lange Zeit galt der Film als verloren, doch 2011 wurde bekannt, dass die französische Filmbehörde CNC noch eine Kopie davon in ihrem Archiv besitzt. Diese Fassung (mit französischen Zwischentiteln) ist in voller Länge auf Youtube verfügbar. Ausführlichere Informationen zu dem Film bieten sowohl die deutsch- als auch die englischsprachige Wikipedia.


Filmszene aus Der König amüsiert sich (auf dem Söller von Burg Kreuzenstein)
[Bildquelle: Österreichische Nationalbibliothek/ANNO]

3) Der König amüsiert sich, 1918
Produktionsfirma: Wiener Kunstfilm, Wien. Regie: Jakob Fleck und Louise Kolm.
Hauptdarsteller*innen: Hermann Benke, Liane Haid, Wilhelm Klitsch.

Der 1917 gedrehte und Anfang 1918 veröffentlichte Streifen basiert auf dem gleichnamigen Schauspiel Victor Hugos, das vor allem in Giuseppe Verdis Opern-Bearbeitung Rigoletto berühmt geworden ist. Das Stück dreht sich um einen Hofnarr, dessen Tochter entführt wird, um dem König als Mätresse zu dienen. Um Rache zu nehmen, versucht der Narr, den König zu ermorden, tötet dabei aus Versehen jedoch seine eigene Tochter. Wie die Geschichte im Detail für den Film umgesetzt wurde, lässt sich leider nur mehr ansatzweise beurteilen, da der Streifen offenbar nicht erhalten ist. Zeitgenössische Kritiken priesen ihn jedenfalls als „ein meisterhaftes Kulturgemälde“, das die „Leichtfertigkeit und Lasterhaftigkeit“ des mittelalterlichen französischen Königshofes vortrefflich schildere. Der Film sei so „naturgetreu und plastisch (…), daß man gar nicht dazu kam, das gesprochene Wort zu entbehren.“6

Laut einer Kritik der Grazer Mittags-Zeitung handelte es sich um einen „Kolossalfilm, wo große Waffenszenen zur Darstellung gelangen“, ja sogar um „eines der besten Werke, das je die Filmtechnik geschaffen.“7 Etwas zurückhaltender gab sich die Wiener Allgemeine Zeitung. Sie schrieb, Der König amüsiert sich sei „ein netter, feiner Film geworden, wirksam mit den einfachsten natürlichen Mitteln, ohne weither geholte Effekte.“ Auch sie lobte das Werk jedoch abschließend als „eine Reihe schöner eindrucksvoller Szenen, in denen sich die durchwegs erstklassigen Darsteller zu diesen mittelalterlichen Genrebildern stellen, die in ihrem Zusammenhang die packendste Romanze ergeben.“8 Die Neue Freie Presse zeigte sich wiederum enthusiastisch und fand den Film „unerreicht an dramatischer Wirkung und glanzvoller Ausstattung.“9

Filmszene aus Der König amüsiert sich (im Arkadenhof des Wiener Rathauses)
[Bildquelle: Österreichische Nationalbibliothek/ANNO]

Die Marburger Zeitung schließlich fasste zusammen: „Prachtvolle Naturaufnahmen, vornehme Ausstattung und vor allem die ausgezeichnete Darstellung durch erste Wiener Bühnenkünstler (…) erzielen allgemeine Bewunderung und volle Anerkennung.“10 Die hier gelobten prachtvollen Aufnahmen entstanden zu einem großen Teil auf Burg Kreuzenstein. Als Kulisse diente aber auch das neugotische Wiener Rathaus, dessen Arkadenhof zum königlichen Thronsaal umgestaltet wurde. Auch zu diesem Film gibt es einen kurzen Wikipedia-Eintrag mit weiteren technischen Details.


Filmszene aus Das tapfere Schneiderlein (vor der Burg Kreuzenstein)
[Bildquelle: Österreichische Nationalbibliothek/ANNO]

4) Das tapfere Schneiderlein, Österreich 1920
Produktionsfirma: Staatliche Filmstelle, Wien. Regie: Rudolf Walter.
Hauptdarsteller*innen: Karl Etlinger, Josef Holub, Mutz Perry, Rudolf Walter.

Der auf dem bekannten Märchen basierende Film ist eine Produktion der Staatlichen Filmstelle, die 1919 nicht zuletzt dafür ins Leben gerufen worden war, um mithilfe des Mediums Film den österreichischen Tourismus anzukurbeln. Nicht lange nach dem Zusammenbruch der Habsburgermonarchie entstanden, sollte Das tapfere Schneiderlein „der Propagierung landschaftlicher und baulicher Schönheiten Österreichs dienen.“11 Der Leiter der Filmstelle, Karl Imelski, betonte, dass sich Kreuzenstein besonders als Drehort für einen solchen Märchenfilm eignete, da die Burg „selbst Wahrheit gewordenes Märchen verklungener Zeiten“ sei.12 In einer Notiz vom August 1920 führte Das interessante Blatt dazu aus:

„Im Film für Fremdenverkehr werden alle Naturschönheiten und baulichen Sehenswürdigkeiten behandelt, um anregend auf diesen Zweig modernen Wirtschaftslebens zu wirken. Diesem Zwecke ist der prachtvolle Märchenfilm ‚Das tapfere Schneiderlein‘ gewidmet. Die Vorgänge des heiteren Märchenspieles sind in die Burg Kreuzenstein verlegt, dieses einzigartigen Denkmals mittelalterlicher Baukunst, dessen Renovierung im strengsten Anschluß an den Burgenstil des 14. Jahrhunderts eine Sehenswürdigkeit ersten Ranges geschaffen hat. Der architektonische Hintergrund gibt den Märchenszenen ihre Bedeutung und wird wesentlich dazu beitragen, die Kenntnisse dieses Baues in die breiten Massen zu tragen.“13

Filmszenen aus Das tapfere Schneiderlein (auf Burg Kreuzenstein)
[Bildquelle: Österreichische Nationalbibliothek/ANNO]


– Ende des ersten Teils –
Teil 2 mit vier weiteren Filmen folgt nächste Woche


1. Andreas Nierhaus, Kreuzenstein. Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne, Wien 2014, S. 212–213.

2. Zur Rezeption der Burg im Film vgl. Nierhaus, Kreuzenstein (wie Anm. 1), S. 211–218. Einen aktuellen Überblick zu Filmen, die auf Kreuzenstein gedreht wurden, bietet der Wikipedia-Eintrag zur Burg.

3. Nierhaus, Kreuzenstein (wie Anm. 1), S. 212f.

4. Vgl. Kinematographische Rundschau, 7. April 1912, S. 16 [Link], bzw. 14. Mai 1912, S. 24 [Link].

5. Kinematographische Rundschau, 6. Okt. 1912, S. III [Link].

6. Die Zitate aus: Kinematographische Rundschau, 27. Okt. 1917, S. 66 [Link].

7. Grazer Mittags-Zeitung, 26. Jan. 1918, S. 2 [Link], bzw. 13. April 1918, S. 2 [Link].

8. Wiener Allgemeine Zeitung, 24. Okt. 1917, S. 4 [Link].

9. Neue Freie Presse, 1. Feb. 1918, S. 10 [Link].

10. Marburger Zeitung, 9. Juni 1918, S. 4 [Link].

11. Das interessante Blatt, 19. Aug. 1920, S. 10 [Link].

12. Neues Wiener Tagblatt, 22. Sept. 1910, S. 5 [Link].

13. Das interessante Blatt, 19. Aug. 1920, S. 10 [Link].

Die Rinnböck-Kapelle und die Rinnböck-Häuser in Simmering

Wie am Ende des vorigen Beitrags angekündigt, geht es heute noch einmal auf den Simmeringer Friedhof im Südosten Wiens. Allerdings nicht wie letztes Mal auf den alten, rund um die Kirche gelegenen Teil, sondern in den neuen, der seine Entstehung den Erweiterungen des 19. Jahrhunderts verdankt. Direkt am Fuß des Kirchhügels steht dort das wohl prominenteste Monument dieses Friedhofs, die sogenannte Rinnböck-Kapelle.1 Der kleine neugotische Bau wurde 1869 von Josef Rinnböck (1816–1880) als Grablege für sich und seine Familie errichtet.

Die Rinnböck-Kapelle am Simmeringer Friedhof [Dezember 2011]

Der Unternehmer und Lokalpolitiker Rinnböck, nach dem in Simmering sogar eine Straße benannt ist, zeichnete sich nicht zuletzt durch sein soziales Engagement aus. Zu seinen Verdiensten zählt unter anderem die Errichtung günstiger Arbeiterwohnungen, der nach ihm benannten Rinnböck-Häuser, an der Simmeringer Hauptstraße (Nr. 1-3). Zwischen 1861 und 1865 als Arbeitergroßwohnhof erbaut, reagierten diese auf das starke Bevölkerungswachstum in Wien und seinen Vororten und auf die daraus resultierende Wohnungsnot vor allem für die Arbeiterschicht. Obwohl sie sich somit einer privaten Initiative verdanken, markieren die Rinnböck-Häuser gewissermaßen den Beginn des modernen sozialen Wohnbaus in Wien, für dessen kommunal geförderte Variante die Stadt bald darauf berühmt werden sollte. Zum Zeitpunkt ihrer Errichtung stellten sie die größte Wohnanlage im Gebiet des heutigen Wien nach dem Freihaus auf der Wieden dar. Damals freilich lagen sie noch nicht in Wien, denn Simmering war noch ein selbständiger Vorort außerhalb der Stadt und sollte erst 1892 eingemeindet werden. Gerade der Bau der Rinnböck-Häuser stellte in gewisser Weise einen wichtigen Schritt im rasch voranschreitenden Prozess der Verstädterung und Industrialisierung Simmerings dar, der den ländlichen Charakter des Orts innerhalb weniger Jahrzehnte gänzlich verschwinden ließ.

Rinnböck-Haus an der Simmeringer Hauptstraße [September 2014]

Trotz seiner nicht zu leugnenden stadtgeschichtlichen Bedeutung ist von dem ehemaligen Großwohnhof heute allerdings nicht mehr allzu viel übrig. Nur eines der Rinnböck-Häuser – das auf Nr. 3 – ist noch erhalten, und rein architektonisch und ästhetisch macht auch dieses zugegebenerweise nicht viel her. Obwohl es von der Bauzeit her bereits in die Epoche des Historismus fällt, erinnert es in seiner Kargheit noch mehr an die schlichten Wohnbauten des Biedermeier. Dennoch ist das Gebäude auch architekturgeschichtlich durchaus interessant, zwar nicht aufgrund seiner äußeren Erscheinung, aber durch das, was sich im Inneren verbirgt. Seines Zeichens Deichgräbermeister, war Josef Rinnböck nämlich maßgeblich am Abbruch der Wiener Stadtmauern beteiligt: Zwischen 1859 und 1866 war seine Firma für Demolierungsarbeiten an Gonzagabastei, Burgbastei, Augustinerbastei sowie weiteren Wällen und Toren der Stadt verantwortlich, um Platz für die neu projektierte Ringstraße zu schaffen. Das dabei anfallende Abbruchmaterial verwendete der praktisch denkende Unternehmer dann gleich als billiges Baumaterial für die nach ihm benannten Wohnhäuser in Simmering.

Rinnböck-Kapelle, Ansicht von vorne [Januar 2013]

Während es sich bei den Arbeiterhäusern um reine Zweckbauten ohne künstlerischen Anspruch handelt, ist die wenige Jahre später entstandene Gruftkapelle am Friedhof ein repräsentatives ‚Schmuckstück‘, in dem die gesellschaftliche Stellung (und der Reichtum) des Auftraggebers deutlich zum Ausdruck kommt.

Rinnböck-Kapelle, seitliche Ansicht [Januar 2013]

Der zierliche Bau wurde in neugotischen Formen mit großem Aufwand an architektonischem und skulpturalem Dekor gestaltet. Er erhebt sich auf achteckigem Grundriss, wobei allerdings die (vom Eingang gesehen) seitlichen Wände etwas länger sind als die übrigen. Jede der acht Seiten wird von einem hohen Wimperg bekrönt. Die Wimperge sind von Maßwerkrosetten durchbrochen und mit Krabben besetzt. In den Ecken dazwischen ragen schlanke Fialen auf, an deren Fuß jeweils löwenartige Tiere angebracht sind. Diese imitieren die phantastischen Wasserspeier gotischer Kathedralen, ohne allerdings tatsächlich diese Funktion einzunehmen. Sie bilden hier ein reines Zierelement. Die fast wie eine Krone um den Bau gelegte Reihe von Wimpergen findet ihre Fortsetzung und ihren Abschluss im hochaufragenden Dach, das von einem schlanken Türmchen bekrönt wird.

Rinnböck-Kapelle, Detail der Seitenansicht [Januar 2013]

Den Höhepunkt des skulpturalen Dekors bildet jedoch das Portal an der Stirnseite. In seinem Tympanon erscheint ein Engel mit einem Schriftband, darauf die Worte: Ruhestätte der Familie Rinnböck.

Portal der Rinnböck-Kapelle [Dezember 2011]

Als geradezu perfekte neugotische Kleinarchitektur kommt dem Rinnböck-Mausoleum innerhalb der Wiener Friedhofsarchitektur eine herausragende Stellung zu. Dennoch stand es bis vor wenigen Jahren eher schlecht um seine Erhaltung: Von Pflanzen überwuchert, mit großflächig abbröckelndem Verputz, präsentierte es sich in einem verfallenden Zustand, der zwar durchaus etwas Romantisches hatte, aber wenig Gutes für die Zukunft des Bauwerks erwarten ließ.

Die Rinnböck-Kapelle im Sommer 2007
[Bild: Invisigoth67/Wikimedia Commons, Lizenz CC BY-SA 3.0]

Den Bemühungen der Simmeringer Friedhofsgärtnerin Traude Fritz ist es zu verdanken, dass es vor rund zehn Jahren doch noch zur dringend nötigen Instandsetzung der Rinnböck-Kapelle kam. Von 2011 bis 2012 wurde der Bau einer umfassenden Restaurierung unterzogen und zeigt sich nun wieder in einem Zustand, wie er Josef Rinnböcks ursprünglichen Intentionen entspricht.


1. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass der vorliegende Beitrag teilweise älteres Material wiederverwendet: Sowohl über die Rinnböck-Kapelle als auch über die Rinnböck-Häuser habe ich vor acht bzw. sechs Jahren schon im alten Baudenkmäler-Blog etwas geschrieben. Leser*innen mit besonders gutem Gedächtnis wird hier daher manches bekannt vorkommen.
Wie man schon anhand der Jahreszeit erkennen kann, sind auch die Bilder nicht ganz aktuell, sondern (mit einer Ausnahme) aus meinem Archiv. Sie haben dafür den Vorteil, mehr oder weniger unmittelbar nach Abschluss der letzten Restaurierung entstanden zu sein und das Gebäude quasi im ‚Top-Zustand‘ zu zeigen.