Die Rinnböck-Kapelle und die Rinnböck-Häuser in Simmering

Wie am Ende des vorigen Beitrags angekündigt, geht es heute noch einmal auf den Simmeringer Friedhof im Südosten Wiens. Allerdings nicht wie letztes Mal auf den alten, rund um die Kirche gelegenen Teil, sondern in den neuen, der seine Entstehung den Erweiterungen des 19. Jahrhunderts verdankt. Direkt am Fuß des Kirchhügels steht dort das wohl prominenteste Monument dieses Friedhofs, die sogenannte Rinnböck-Kapelle.1 Der kleine neugotische Bau wurde 1869 von Josef Rinnböck (1816–1880) als Grablege für sich und seine Familie errichtet.

Die Rinnböck-Kapelle am Simmeringer Friedhof [Dezember 2011]

Der Unternehmer und Lokalpolitiker Rinnböck, nach dem in Simmering sogar eine Straße benannt ist, zeichnete sich nicht zuletzt durch sein soziales Engagement aus. Zu seinen Verdiensten zählt unter anderem die Errichtung günstiger Arbeiterwohnungen, der nach ihm benannten Rinnböck-Häuser, an der Simmeringer Hauptstraße (Nr. 1-3). Zwischen 1861 und 1865 als Arbeitergroßwohnhof erbaut, reagierten diese auf das starke Bevölkerungswachstum in Wien und seinen Vororten und auf die daraus resultierende Wohnungsnot vor allem für die Arbeiterschicht. Obwohl sie sich somit einer privaten Initiative verdanken, markieren die Rinnböck-Häuser gewissermaßen den Beginn des modernen sozialen Wohnbaus in Wien, für dessen kommunal geförderte Variante die Stadt bald darauf berühmt werden sollte. Zum Zeitpunkt ihrer Errichtung stellten sie die größte Wohnanlage im Gebiet des heutigen Wien nach dem Freihaus auf der Wieden dar. Damals freilich lagen sie noch nicht in Wien, denn Simmering war noch ein selbständiger Vorort außerhalb der Stadt und sollte erst 1892 eingemeindet werden. Gerade der Bau der Rinnböck-Häuser stellte in gewisser Weise einen wichtigen Schritt im rasch voranschreitenden Prozess der Verstädterung und Industrialisierung Simmerings dar, der den ländlichen Charakter des Orts innerhalb weniger Jahrzehnte gänzlich verschwinden ließ.

Rinnböck-Haus an der Simmeringer Hauptstraße [September 2014]

Trotz seiner nicht zu leugnenden stadtgeschichtlichen Bedeutung ist von dem ehemaligen Großwohnhof heute allerdings nicht mehr allzu viel übrig. Nur eines der Rinnböck-Häuser – das auf Nr. 3 – ist noch erhalten, und rein architektonisch und ästhetisch macht auch dieses zugegebenerweise nicht viel her. Obwohl es von der Bauzeit her bereits in die Epoche des Historismus fällt, erinnert es in seiner Kargheit noch mehr an die schlichten Wohnbauten des Biedermeier. Dennoch ist das Gebäude auch architekturgeschichtlich durchaus interessant, zwar nicht aufgrund seiner äußeren Erscheinung, aber durch das, was sich im Inneren verbirgt. Seines Zeichens Deichgräbermeister, war Josef Rinnböck nämlich maßgeblich am Abbruch der Wiener Stadtmauern beteiligt: Zwischen 1859 und 1866 war seine Firma für Demolierungsarbeiten an Gonzagabastei, Burgbastei, Augustinerbastei sowie weiteren Wällen und Toren der Stadt verantwortlich, um Platz für die neu projektierte Ringstraße zu schaffen. Das dabei anfallende Abbruchmaterial verwendete der praktisch denkende Unternehmer dann gleich als billiges Baumaterial für die nach ihm benannten Wohnhäuser in Simmering.

Rinnböck-Kapelle, Ansicht von vorne [Januar 2013]

Während es sich bei den Arbeiterhäusern um reine Zweckbauten ohne künstlerischen Anspruch handelt, ist die wenige Jahre später entstandene Gruftkapelle am Friedhof ein repräsentatives ‚Schmuckstück‘, in dem die gesellschaftliche Stellung (und der Reichtum) des Auftraggebers deutlich zum Ausdruck kommt.

Rinnböck-Kapelle, seitliche Ansicht [Januar 2013]

Der zierliche Bau wurde in neugotischen Formen mit großem Aufwand an architektonischem und skulpturalem Dekor gestaltet. Er erhebt sich auf achteckigem Grundriss, wobei allerdings die (vom Eingang gesehen) seitlichen Wände etwas länger sind als die übrigen. Jede der acht Seiten wird von einem hohen Wimperg bekrönt. Die Wimperge sind von Maßwerkrosetten durchbrochen und mit Krabben besetzt. In den Ecken dazwischen ragen schlanke Fialen auf, an deren Fuß jeweils löwenartige Tiere angebracht sind. Diese imitieren die phantastischen Wasserspeier gotischer Kathedralen, ohne allerdings tatsächlich diese Funktion einzunehmen. Sie bilden hier ein reines Zierelement. Die fast wie eine Krone um den Bau gelegte Reihe von Wimpergen findet ihre Fortsetzung und ihren Abschluss im hochaufragenden Dach, das von einem schlanken Türmchen bekrönt wird.

Rinnböck-Kapelle, Detail der Seitenansicht [Januar 2013]

Den Höhepunkt des skulpturalen Dekors bildet jedoch das Portal an der Stirnseite. In seinem Tympanon erscheint ein Engel mit einem Schriftband, darauf die Worte: Ruhestätte der Familie Rinnböck.

Portal der Rinnböck-Kapelle [Dezember 2011]

Als geradezu perfekte neugotische Kleinarchitektur kommt dem Rinnböck-Mausoleum innerhalb der Wiener Friedhofsarchitektur eine herausragende Stellung zu. Dennoch stand es bis vor wenigen Jahren eher schlecht um seine Erhaltung: Von Pflanzen überwuchert, mit großflächig abbröckelndem Verputz, präsentierte es sich in einem verfallenden Zustand, der zwar durchaus etwas Romantisches hatte, aber wenig Gutes für die Zukunft des Bauwerks erwarten ließ.

Die Rinnböck-Kapelle im Sommer 2007
[Bild: Invisigoth67/Wikimedia Commons, Lizenz CC BY-SA 3.0]

Den Bemühungen der Simmeringer Friedhofsgärtnerin Traude Fritz ist es zu verdanken, dass es vor rund zehn Jahren doch noch zur dringend nötigen Instandsetzung der Rinnböck-Kapelle kam. Von 2011 bis 2012 wurde der Bau einer umfassenden Restaurierung unterzogen und zeigt sich nun wieder in einem Zustand, wie er Josef Rinnböcks ursprünglichen Intentionen entspricht.


1. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass der vorliegende Beitrag teilweise älteres Material wiederverwendet: Sowohl über die Rinnböck-Kapelle als auch über die Rinnböck-Häuser habe ich vor acht bzw. sechs Jahren schon im alten Baudenkmäler-Blog etwas geschrieben. Leser*innen mit besonders gutem Gedächtnis wird hier daher manches bekannt vorkommen.
Wie man schon anhand der Jahreszeit erkennen kann, sind auch die Bilder nicht ganz aktuell, sondern (mit einer Ausnahme) aus meinem Archiv. Sie haben dafür den Vorteil, mehr oder weniger unmittelbar nach Abschluss der letzten Restaurierung entstanden zu sein und das Gebäude quasi im ‚Top-Zustand‘ zu zeigen.

Wiens (vielleicht) ältester Friedhof

In der Geschichte der Wiener Friedhöfe bildet das späte 18. Jahrhundert einen entscheidenden Einschnitt. Bis dahin lagen die Gräberfelder unmittelbar neben den (katholischen) Pfarrkirchen der Stadt beziehungsweise der Vorstädte, doch im Zuge der Reformen Josephs II. wurden 1783/84 neue Friedhöfe errichtet, die aus Hygienegründen vor der Stadt, außerhalb des Linienwalls angelegt wurden. Die alten Pfarrfriedhöfe hingegen wurden aufgelassen und in der Folge entweder verbaut oder zu Parkanlagen umgestaltet, denen man ihre Vorgeschichte als Begräbnisstätte längst nicht mehr ansieht. Nur einer von ihnen ist heute zum Teil noch erhalten: der kleine ‚Bergfriedhof1 an der alten Simmeringer Pfarrkirche zum Hl. Laurentius.

Der ‚Bergfriedhof‘ an der Alt-Simmeringer Pfarrkirche

Simmering war zur Zeit Josephs II. zwar noch nicht Teil von Wien, sondern ein kleines Dorf, einige Kilometer südöstlich der Stadt, doch auch am Land lautete damals die Devise, die Friedhöfe bei den Kirchen aufzulassen und durch neue am Ortsrand zu ersetzen. Die Simmeringer Bürgerschaft aber spielte gleichsam Gallisches Dorf und lehnte sich gegen die obrigkeitliche Anordnung auf. Man reichte beim zuständigen k. k. Kreishauptmann eine Petition zum Erhalt des alten Friedhofes ein – und hatte damit tatsächlich Erfolg. Nur gewisse Auflagen musste man einhalten, zum Beispiel mussten die zum Friedhof schauenden Fenster des danebengelegenen Schulhauses vermauert werden.

Simmering um 1820
(rechts die Pfarrkirche, links daneben Schulhaus & Pfarrhof)

[Quelle: Österreichische Nationalbibliothek/Bildarchiv Austria]

Dieses Schulhaus ist heute ebenfalls noch erhalten, wenn auch in später etwas veränderter Form. Gemeinsam mit Kirche und Pfarrhof bildet es ein beachtenswertes Bauensemble, das sich im Wesentlichen noch so präsentiert wie im frühen 19. Jahrhundert. Auf einer kleinen Erhebung gelegen, ist diese Gebäudegruppe ein letzter Rest des alten, dörflichen Simmering.

Die Alt-Simmeringer Pfarrkirche Hl. Laurenz, links daneben Schulhaus & Pfarrhof
[Bild: © Bwag/Wikimedia, Lizenz CC-BY-SA-4.0]

Die Pfarrkirche selbst ist ein spätbarocker Neubau von 1746/47, doch ihre Geschichte reicht deutlich weiter zurück. Schon um das Jahr 1000 dürfte es, archäologischen Grabungen zufolge, ein Gotteshaus an dieser Stelle gegeben haben. 1267 wird ein solches dann erstmals urkundlich erwähnt, damals noch als Filialkirche von St. Stephan. In einem Dokument von 1378 ist schließlich erstmals von einem Simmeringer Pfarrer die Rede. Irgendwann zwischen 1267 und 1378 muss also die Erhebung zur Pfarrkirche erfolgt sein, doch ist der Quellenbestand aus dieser Zeit zu dürftig, um ein genaueres Datum nennen zu können.

In aller Regel war mit einer Pfarrerhebung auch die Anlage eines Friedhofs verbunden (sofern nicht ohnehin schon einer vorhanden war). Man kann daher mit höchster Wahrscheinlichkeit annehmen, dass auch der Simmeringer Friedhof spätestens 1378 bereits bestand. Damit ist er – als ‚Institution‘ – wohl älter als der jüdische Friedhof in der Seegasse, der heute oft als der älteste Friedhof Wiens bezeichnet wird, vermutlich aber erst im 16. Jahrhundert angelegt wurde.2 Was die noch vorhandenen Grabmonumente betrifft, verhält es sich allerdings umgekehrt: Auf dem jüdischen Friedhof haben sich zahlreiche Grabsteine des 16. und 17. Jahrhunderts erhalten, in Simmering hingegen gehen die ältesten Denkmäler erst auf das frühe 18. Jahrhundert zurück.

Grabkreuz des Simmeringer Ortsrichters Adam Schwab (1659–1714)
(‚Bergfriedhof‘ an der Alt-Simmeringer Pfarrkirche)

Das ist wohl kein Zufall: Außerhalb der Stadt gelegen, war die Simmeringer Pfarrkirche während der Zweiten Wiener Türkenbelagerung von 1683 stark beschädigt worden. Man muss wohl davon ausgehen, dass dabei auch der Friedhof schwer in Mitleidenschaft gezogen wurde und in den Jahren darauf weitgehend neu angelegt werden musste.

Grabmal der Familie Meichl
(‚Bergfriedhof‘ an der Alt-Simmeringer Pfarrkirche)

Insgesamt sind auf dem ‚Bergfriedhof‘ heute nur noch wenige Grabdenkmäler erhalten, die meisten davon an der Außenwand der Kirche. Unter ihnen findet sich aber eine Handvoll ausgesprochen sehenswerter Biedermeier-Monumente wie jenes für Jacob Hackel (1772–1832), seinerzeit Besitzer der Grundherrschaft Simmering, der auch das steinerne Friedhofskreuz stiftete.

Grabmal von Jacob Hackel (1772–1832)
(‚Bergfriedhof‘ an der Alt-Simmeringer Pfarrkirche)

Auffällig ist auch das Grab des Simmeringer Pfarrers Matthias Ziegler (1813–1887), das als einziges frei inmitten der heute parkähnlichen Anlage liegt.

Grab von Matthias Ziegler (1813–18887)
(‚Bergfriedhof‘ an der Alt-Simmeringer Pfarrkirche)

Auf diesen Pfarrer Ziegler geht die Errichtung der Neu-Simmeringer Pfarrkirche am Enkplatz zurück, mit deren Bau allerdings erst 1907, lange nach seinem Tod, begonnen wurde. Das Dorf Simmering hatte sich nämlich im Lauf des 19. Jahrhunderts zur vorstädtischen Industriezone und schließlich zum dicht besiedelten Arbeiterbezirk weiterentwickelt, sodass sich die alte Laurentius-Kirche bald als zu klein für die stark angewachsene Bevölkerung erwies. Auch der Friedhof musste in der Folge mehrmals erweitert werden. Bereits 1840 wurde ein neuer Friedhofsteil am Fuße des ‚Kirchbergs‘ angelegt, da der Platz auf dem Hügel nicht mehr ausreichte.

Blick vom Simmeringer ‚Bergfriedhof‘ auf das
Rinnböck-Mausoleum und den neuen Friedhofsteil

Das war aber noch lange nicht die letzte Erweiterung. Heute erstreckt sich der Simmeringer Friedhof auf knapp 57.000 Quadratmetern in der Ebene nordöstlich der alten Pfarrkirche. Er enthält rund 8000 Grabstellen, unter denen das neugotische Rinnböck-Mausoleum von 1869 sicherlich die prominenteste ist. Aber dieses verdient sich einen eigenen Beitrag – mehr dazu also beim nächsten Mal …


1. In Wien wird bekanntlich alles, wo es ein klein wenig bergauf geht, mit dem hochtrabenden Etikett ‚Berg‘ versehen. Konkret liegen die Alt-Simmeringer Pfarrkirche und der zugehörige Friedhof am Steilabfall der sog. ‚Simmeringer Terrasse‘, einer während der Riß-Kaltzeit entstandenen Flussterrasse.

2. Der älteste sicher datierbare Grabstein auf dem jüdischen Friedhof in der Seegasse stammt von 1582. Wie lange es den Friedhof damals schon gab, ist unklar, da ihn betreffende Schriftquellen erst ab dem 17. Jahrhundert erhalten sind. In der Forschung wird seine Anlage heute meist erst im 16. Jahrhundert angenommen, auch wenn verschiedentlich spekuliert wurde, dass er bereits auf das Spätmittelalter zurückgehen könnten. Weitgehende Einigkeit besteht jedoch darin, dass der Friedhof erst im Zuge der Wiederansiedlung einer jüdischen Gemeinschaft nach der Wiener Gesera von 1420/21 entstand.