Wiens (vielleicht) ältester Friedhof

In der Geschichte der Wiener Friedhöfe bildet das späte 18. Jahrhundert einen entscheidenden Einschnitt. Bis dahin lagen die Gräberfelder unmittelbar neben den (katholischen) Pfarrkirchen der Stadt beziehungsweise der Vorstädte, doch im Zuge der Reformen Josephs II. wurden 1783/84 neue Friedhöfe errichtet, die aus Hygienegründen vor der Stadt, außerhalb des Linienwalls angelegt wurden. Die alten Pfarrfriedhöfe hingegen wurden aufgelassen und in der Folge entweder verbaut oder zu Parkanlagen umgestaltet, denen man ihre Vorgeschichte als Begräbnisstätte längst nicht mehr ansieht. Nur einer von ihnen ist heute zum Teil noch erhalten: der kleine ‚Bergfriedhof1 an der alten Simmeringer Pfarrkirche zum Hl. Laurentius.

Der ‚Bergfriedhof‘ an der Alt-Simmeringer Pfarrkirche

Simmering war zur Zeit Josephs II. zwar noch nicht Teil von Wien, sondern ein kleines Dorf, einige Kilometer südöstlich der Stadt, doch auch am Land lautete damals die Devise, die Friedhöfe bei den Kirchen aufzulassen und durch neue am Ortsrand zu ersetzen. Die Simmeringer Bürgerschaft aber spielte gleichsam Gallisches Dorf und lehnte sich gegen die obrigkeitliche Anordnung auf. Man reichte beim zuständigen k. k. Kreishauptmann eine Petition zum Erhalt des alten Friedhofes ein – und hatte damit tatsächlich Erfolg. Nur gewisse Auflagen musste man einhalten, zum Beispiel mussten die zum Friedhof schauenden Fenster des danebengelegenen Schulhauses vermauert werden.

Simmering um 1820
(rechts die Pfarrkirche, links daneben Schulhaus & Pfarrhof)

[Quelle: Österreichische Nationalbibliothek/Bildarchiv Austria]

Dieses Schulhaus ist heute ebenfalls noch erhalten, wenn auch in später etwas veränderter Form. Gemeinsam mit Kirche und Pfarrhof bildet es ein beachtenswertes Bauensemble, das sich im Wesentlichen noch so präsentiert wie im frühen 19. Jahrhundert. Auf einer kleinen Erhebung gelegen, ist diese Gebäudegruppe ein letzter Rest des alten, dörflichen Simmering.

Die Alt-Simmeringer Pfarrkirche Hl. Laurenz, links daneben Schulhaus & Pfarrhof
[Bild: © Bwag/Wikimedia, Lizenz CC-BY-SA-4.0]

Die Pfarrkirche selbst ist ein spätbarocker Neubau von 1746/47, doch ihre Geschichte reicht deutlich weiter zurück. Schon um das Jahr 1000 dürfte es, archäologischen Grabungen zufolge, ein Gotteshaus an dieser Stelle gegeben haben. 1267 wird ein solches dann erstmals urkundlich erwähnt, damals noch als Filialkirche von St. Stephan. In einem Dokument von 1378 ist schließlich erstmals von einem Simmeringer Pfarrer die Rede. Irgendwann zwischen 1267 und 1378 muss also die Erhebung zur Pfarrkirche erfolgt sein, doch ist der Quellenbestand aus dieser Zeit zu dürftig, um ein genaueres Datum nennen zu können.

In aller Regel war mit einer Pfarrerhebung auch die Anlage eines Friedhofs verbunden (sofern nicht ohnehin schon einer vorhanden war). Man kann daher mit höchster Wahrscheinlichkeit annehmen, dass auch der Simmeringer Friedhof spätestens 1378 bereits bestand. Damit ist er – als ‚Institution‘ – wohl älter als der jüdische Friedhof in der Seegasse, der heute oft als der älteste Friedhof Wiens bezeichnet wird, vermutlich aber erst im 16. Jahrhundert angelegt wurde.2 Was die noch vorhandenen Grabmonumente betrifft, verhält es sich allerdings umgekehrt: Auf dem jüdischen Friedhof haben sich zahlreiche Grabsteine des 16. und 17. Jahrhunderts erhalten, in Simmering hingegen gehen die ältesten Denkmäler erst auf das frühe 18. Jahrhundert zurück.

Grabkreuz des Simmeringer Ortsrichters Adam Schwab (1659–1714)
(‚Bergfriedhof‘ an der Alt-Simmeringer Pfarrkirche)

Das ist wohl kein Zufall: Außerhalb der Stadt gelegen, war die Simmeringer Pfarrkirche während der Zweiten Wiener Türkenbelagerung von 1683 stark beschädigt worden. Man muss wohl davon ausgehen, dass dabei auch der Friedhof schwer in Mitleidenschaft gezogen wurde und in den Jahren darauf weitgehend neu angelegt werden musste.

Grabmal der Familie Meichl
(‚Bergfriedhof‘ an der Alt-Simmeringer Pfarrkirche)

Insgesamt sind auf dem ‚Bergfriedhof‘ heute nur noch wenige Grabdenkmäler erhalten, die meisten davon an der Außenwand der Kirche. Unter ihnen findet sich aber eine Handvoll ausgesprochen sehenswerter Biedermeier-Monumente wie jenes für Jacob Hackel (1772–1832), seinerzeit Besitzer der Grundherrschaft Simmering, der auch das steinerne Friedhofskreuz stiftete.

Grabmal von Jacob Hackel (1772–1832)
(‚Bergfriedhof‘ an der Alt-Simmeringer Pfarrkirche)

Auffällig ist auch das Grab des Simmeringer Pfarrers Matthias Ziegler (1813–1887), das als einziges frei inmitten der heute parkähnlichen Anlage liegt.

Grab von Matthias Ziegler (1813–18887)
(‚Bergfriedhof‘ an der Alt-Simmeringer Pfarrkirche)

Auf diesen Pfarrer Ziegler geht die Errichtung der Neu-Simmeringer Pfarrkirche am Enkplatz zurück, mit deren Bau allerdings erst 1907, lange nach seinem Tod, begonnen wurde. Das Dorf Simmering hatte sich nämlich im Lauf des 19. Jahrhunderts zur vorstädtischen Industriezone und schließlich zum dicht besiedelten Arbeiterbezirk weiterentwickelt, sodass sich die alte Laurentius-Kirche bald als zu klein für die stark angewachsene Bevölkerung erwies. Auch der Friedhof musste in der Folge mehrmals erweitert werden. Bereits 1840 wurde ein neuer Friedhofsteil am Fuße des ‚Kirchbergs‘ angelegt, da der Platz auf dem Hügel nicht mehr ausreichte.

Blick vom Simmeringer ‚Bergfriedhof‘ auf das
Rinnböck-Mausoleum und den neuen Friedhofsteil

Das war aber noch lange nicht die letzte Erweiterung. Heute erstreckt sich der Simmeringer Friedhof auf knapp 57.000 Quadratmetern in der Ebene nordöstlich der alten Pfarrkirche. Er enthält rund 8000 Grabstellen, unter denen das neugotische Rinnböck-Mausoleum von 1869 sicherlich die prominenteste ist. Aber dieses verdient sich einen eigenen Beitrag – mehr dazu also beim nächsten Mal …


1. In Wien wird bekanntlich alles, wo es ein klein wenig bergauf geht, mit dem hochtrabenden Etikett ‚Berg‘ versehen. Konkret liegen die Alt-Simmeringer Pfarrkirche und der zugehörige Friedhof am Steilabfall der sog. ‚Simmeringer Terrasse‘, einer während der Riß-Kaltzeit entstandenen Flussterrasse.

2. Der älteste sicher datierbare Grabstein auf dem jüdischen Friedhof in der Seegasse stammt von 1582. Wie lange es den Friedhof damals schon gab, ist unklar, da ihn betreffende Schriftquellen erst ab dem 17. Jahrhundert erhalten sind. In der Forschung wird seine Anlage heute meist erst im 16. Jahrhundert angenommen, auch wenn verschiedentlich spekuliert wurde, dass er bereits auf das Spätmittelalter zurückgehen könnten. Weitgehende Einigkeit besteht jedoch darin, dass der Friedhof erst im Zuge der Wiederansiedlung einer jüdischen Gemeinschaft nach der Wiener Gesera von 1420/21 entstand.

Ein Dach am Zentralfriedhof

Auf den ersten Blick ist sie gar nicht besonders auffällig, die Ruhestätte der verstorbenen Mitglieder des Wiener Domkapitels am Zentralfriedhof (Gruppe 34 E) in Wien-Simmering. Sie besteht aus einer geraden Reihe einfacher, identischer Grabsteine, von denen nur der mittlere etwas anders gestaltet und durch ein Kreuz überhöht ist. So weit, so gewöhnlich. Ganz ähnlich konzipierte Gruppengräber gibt es am Zentralfriedhof auch für die Angehörigen der diversen Wiener Klöster und Ordensgemeinschaften.

Was diese Ruhestätte dann aber doch interessant und einzigartig macht, sind die Gruftabdeckungen am Boden:

Statt Blumenschmuck oder steinernen Deckeln findet man hier vor jedem Grabstein eine Platte, die mit glasierten Dachziegeln belegt ist. Die Ziegel bilden ein Muster aus diagonalen Linien, die abwechselnd grün, weiß, schwarz und grau sind. Nur die mittlere Platte ist, wie bei den Grabsteinen, anders gestaltet. Hier bilden die glasierten Ziegel ein Rautenmuster, und das Weiß ist durch Gelb ersetzt.

Die meisten, zumindest die Wiener*innen, werden das Muster auf den Grabplatten wohl schon erkannt haben: Es kopiert ganz offensichtlich das charakteristische Ziegeldach des Stephansdoms.

Das ist nicht nur eine originelle Idee, sondern hat auch einen tieferen Sinn. Denn jahrhundertelang wurden die Mitglieder des Domkapitels im Dom selbst bestattet. Das ist allerdings nicht mehr möglich, seit Josef II. 1782 alle Begräbnisse innerhalb der Stadt, und damit auch in den städtischen Kirchen, untersagte.1 Dank der außergewöhnlichen Gestaltung ihrer Grabstätte am Zentralfriedhof ruhen die Angehörigen des Domkapitels nun aber trotzdem gleichsam unter dem Dach ihrer Kirche…


1. Um genau zu sein, nicht alle Begräbnisse. Es gab natürlich auch einige Ausnahmen, etwa für Angehörige des Kaiserhauses oder für die Wiener Erzbischöfe. Letztere wurden weiterhin in den Katakomben des Stephansdoms beigesetzt. Seit den 1960er-Jahren gibt es dort auch wieder eine Domherrengruft.