Ein Dach am Zentralfriedhof

Auf den ersten Blick ist sie gar nicht besonders auffällig, die Ruhestätte der verstorbenen Mitglieder des Wiener Domkapitels am Zentralfriedhof (Gruppe 34 E) in Wien-Simmering. Sie besteht aus einer geraden Reihe einfacher, identischer Grabsteine, von denen nur der mittlere etwas anders gestaltet und durch ein Kreuz überhöht ist. So weit, so gewöhnlich. Ganz ähnlich konzipierte Gruppengräber gibt es am Zentralfriedhof auch für die Angehörigen der diversen Wiener Klöster und Ordensgemeinschaften.

Was diese Ruhestätte dann aber doch interessant und einzigartig macht, sind die Gruftabdeckungen am Boden:

Statt Blumenschmuck oder steinernen Deckeln findet man hier vor jedem Grabstein eine Platte, die mit glasierten Dachziegeln belegt ist. Die Ziegel bilden ein Muster aus diagonalen Linien, die abwechselnd grün, weiß, schwarz und grau sind. Nur die mittlere Platte ist, wie bei den Grabsteinen, anders gestaltet. Hier bilden die glasierten Ziegel ein Rautenmuster, und das Weiß ist durch Gelb ersetzt.

Die meisten, zumindest die Wiener*innen, werden das Muster auf den Grabplatten wohl schon erkannt haben: Es kopiert ganz offensichtlich das charakteristische Ziegeldach des Stephansdoms.

Das ist nicht nur eine originelle Idee, sondern hat auch einen tieferen Sinn. Denn jahrhundertelang wurden die Mitglieder des Domkapitels im Dom selbst bestattet. Das ist allerdings nicht mehr möglich, seit Josef II. 1782 alle Begräbnisse innerhalb der Stadt, und damit auch in den städtischen Kirchen, untersagte.1 Dank der außergewöhnlichen Gestaltung ihrer Grabstätte am Zentralfriedhof ruhen die Angehörigen des Domkapitels nun aber trotzdem gleichsam unter dem Dach ihrer Kirche…


1. Um genau zu sein, nicht alle Begräbnisse. Es gab natürlich auch einige Ausnahmen, etwa für Angehörige des Kaiserhauses oder für die Wiener Erzbischöfe. Letztere wurden weiterhin in den Katakomben des Stephansdoms beigesetzt. Seit den 1960er-Jahren gibt es dort auch wieder eine Domherrengruft.