Burg Kreuzenstein als Stummfilmkulisse (Teil 2)

Im ersten Teil dieses Beitrags war ich bis ins Jahr 1920 gekommen, genauer gesagt bis zum Märchenfilm Das tapfere Schneiderlein, der damals auf und vor Burg Kreuzenstein gedreht wurde. Schon im Jahr darauf diente die Burg erneut als Kulisse einer Märchen- bzw. Sagenverfilmung, Gevatter Tod. Mit dieser beginnt nun also die Fortsetzung der Liste vom letzten Mal …

Szene aus Gevatter Tod mit Burg Kreuzenstein im Hintergrund
[Bildquelle: Österreichische Nationalbibliothek/ANNO]

5) Gevatter Tod, Österreich 1921
Produktionsfirma: Astoria Wien. Regie: Heinz Hanus.
Hauptdarsteller*innen: Kurt Ehrle, Sylvia Kosti, Artur Ranzenhofer, Armin Seydelmann, Erika Wagner.

Der offenbar verlorene Film basierte auf dem bekannten Märchen vom Tod als Gevatter, das von den Drehbuchautoren allerdings sehr frei adaptiert wurde. Das Wiener Sport-Tagblatt lieferte nach der ersten Pressevorführung im Juli 1921 folgende Inhaltsangabe:

„Die Sage ist bekannt. Der Tod selber ist bei der Taufe eines kleinen Findlings Gevatter gestanden, und dieser, Wigand getauft, wird Arzt. Der Tod gedenkt seinem Schützling eine seltsame Patengabe zu. Er zeigt ihm an jedem Krankenlager an, ob der Patient genesen oder sterben werde, indem er sich den Todgeweihten zu Häupten, dem Lebenbegnadeten aber zu Füßen aufstellt, nur den Augen seines Patenkindes sichtbar. Die Sage erzählt, daß dieser weitberühmt gewordene Arzt den Tod betrügt, indem er einen Kranken, zu dessen Häupten er den Tod sitzen sieht, rasch umdreht, so daß der Tod nun zu dessen Füßen steht und dem Doktor sein Opfer lassen muß. Der Arzt selbst bezahlt aber den Betrug mit dem Leben.

Diese Fabel liegt dem Film zugrunde. Freilich ist sie ausgeweitet worden, und hier bewies der Filmlibrettist eine sichere und zugleich zarte Hand. Wigand, der Arzt, liebt Lisbeth, ein schönes Bürgermädchen. Aber er muß aus der Stadt fliehen, weil Blutschuld auf ihm liegt. Er hat im Raufhandel um Lisbeths willen einen Burschen erschlagen. Auf der Flucht findet er Aufnahme in einem Landsknechtstroß, wird in der Feldschlacht mit vielen andern gefangengenommen und auf das Schloß des Fürsten gebracht. Der Fürst selbst war schwer verwundet worden, und nun bedient er sich des gefangenen Wunderdoktors, der ihn leicht zu heilen vermag, da der Tod am Fußende des Bettes sichtbar wird. Die Fürstin aber verliebt sich in Wigand, und dieser vergißt Lisbeth, deren Bild vor der königlichen Schönheit der Schloßherrin verblaßt. Er verbleibt auf dem Schlosse, obgleich ihm der Fürst außer Degen und Kette auch die Freiheit geschenkt hat. Die Fürstin, der die Fesseln der Ehe schon längst zur Qual geworden waren, will sich durch ein gefährliches Arkan, das sie Wigand entwendet, von ihrem Manne befreien, aber sie selbst muß den vergifteten Wein trinken und sinkt sterbend zu Boden. Der Tod erscheint zu ihren Häupten, und Wigand dreht betrügend und rettend die Fürstin um. Sie erwacht zu neuem Leben und beschuldigt den Arzt des versuchten Giftmordes an dem Fürsten. Wigand wird in den Kerker geworfen und nachts von der Fürstin befreit. Er flieht und findet nach langer Irrfahrt auf dem Hospiz zu St. Bernhard Lisbeth wieder, die ihn suchen gegangen ist. Aber sie ist durch die Leiden der Wanderung so erschöpft, daß sie stirbt, denn der Tod gießt aus Lisbeths Lebenslampe Oel auf die Flamme der Fürstin.“ 1

„Straßenbild“ aus der Astoria-Filmstadt in Wien, 1921
[Bildquelle: Österreichische Nationalbibliothek/ANNO]

Zeitgenössischen Besprechungen nach beeindruckte Gevatter Tod mit „Massenszenen und ungemein prunkvollen Bildern“.2 Die Kostümentwürfe stammten vom damals renommierten Maler Adalbert Seligmann, die Bauten und Innendekorationen von Architekt Hans Berger, der zusammen mit L. Günther-Kronmyrth auch das Drehbuch verfasst hatte.3 Ein großer Teil des Films wurde auf dem Gelände der Produktionsfirma Astoria in der Brigittenau gedreht. Dort war erst kurz zuvor, ebenfalls durch Hans Berger, eine für das damalige Österreich wegweisende „Filmstadt“ errichtet worden, deren aufwändige Kulissenarchitekturen vielfältig einsetzbar waren.4 Im Mai 1921 folgten dann Außenaufnahmen auf und um Kreuzenstein. Das Sport-Tagblatt, das von Anfang an großes Interesse an der Produktion zeigte, brachte Ende des Monats eine anschauliche Beschreibung der Dreharbeiten vor Ort:

„Landsknechte, Reiter und Ritter bevölkerten in großer Zahl den Burghof, und der Eindruck, den diese Welt mit dieser Staffage machte, wäre mehr als verblüffend gewesen, wenn nicht die Aufnahmeapparate, die Regisseure und etliches andere daran erinnert hätten, daß man im zwanzigsten Jahrhundert lebt. Es wurden sehr bewegte Szenen gedreht: das Aufziehen und Niederlassen der Zugbrücke, das Einbringen der Gefangenen aus der Schlacht, das Abfeuern einer Kanone und sonstige kriegerische Betätigungen von Anno fünzehnhundert dazumal. Erika Wagner gab eine Fürstin, wie man sie sich im Märchen vorstellt. Der Fürst des Herrn Seydelmann sah aus, als hätte ein uraltes Ahnenbild Leben bekommen. Ehrle gab den jungen Mediziner edel und schlicht, Nerz seinen treuen Gefährten, Loewenstein einen eisenfresserischen Feldhauptmann – und Volkswehr stellte zwei Landsknechttruppen, die sich während der Schlacht so tapfer schlugen, daß es sogar einen Verwundeten gab (aber es war nicht schlimm).“5

Evelyn Worning in Asmodi, der hinkende Teufel
[Bildquelle: Österreichische Nationalbibliothek/ANNO]

6) Asmodi, der hinkende Teufel, Österreich 1922
Produktionsfirma: Asmodi, Wien. Regie: Albert Heine.
Hauptdarsteller*innen: Kurt Ehrle, Franz Höbling, Erika Wagner, Evelyn Worning

Die monumentale Produktion war das Filmregiedebüt des damaligen Wiener Burgtheaterdirektors Albert Heine. Es handelte sich um ein ausgesprochen ambitioniertes Projekt, das versuchte, Theater und Film zu fusionieren: Bei den Vorführungen des Films in Wien und Umgebung traten die beteiligten Schauspielerinnen vor der Leinwand auf, um die Hauptszenen für das Publikum live darzustellen …6

Auch inhaltlich war der, wie es scheint, ebenfalls verlorene Film einigermaßen komplex und ambitioniert: Halb historisch, halb phantastisch, erzählte er eine Geschichte, die sich über mehrere Jahrhunderte zog. Die Wiener Sonn- und Montags-Zeitung vom 1. August 1921 fasst das Ganze so zusammen:

„Der Film ist nach dem weltberühmten Roman von Lesage ‚Der hinkende Teufel‘ von Alfred Deutsch-German verfaßt worden. Allerdings verwendete der Autor nur das Grundmotiv des Geistes, der durch die Mauern sieht, und verfolgte dann eigene Pfade. Der Film, der endlich einmal darangeht, die österreichische Landschaft in ihrer unvergleichlichen Pracht zu erschließen, zeigt uns die Donauschlösser Dürnstein und Hinterhaus und bringt uns die Befreiung Richard Löwenherz’ durch Blondel vor Augen.

In der Alchemistenküche von Kreutzenstein [sic] erhält Blondel ein verhängnisvolles Geschenk. Es ist der hinkende Teufel, der solange ein Erbteil seiner Familie sein soll, bis er in das Herz eines treuen Weibes geschaut hat.

Durch neun Jahrhunderte führt uns das Spiel. Asmodi, Ludwig XIV., die schöne Louise von Lavallière und der Mann mit der eisernen Maske greifen in das Spiel ein. Lord Byron, der Liebling der Menschen und der Götter, wird eine der handelnden Figuren und erst auf einem englischen Landedelsitze, in der modernsten Zeit spielend, gewinnt Asmodi seine Freiheit und lässt seinen letzten Herrn, dem er als Knecht zu dienen bemüssigt war, die phantastische Geschichte seiner Dienstbarkeit in Traumbildern erstehen.“7

Was die zeitgenössischen Kritiker offenbar am meisten faszinierte, war jedoch der Umstand, dass die einzelnen Schauspieler*innen jeweils in mehreren Rollen und verschiedenen Kostümen auftraten. So erschien die weibliche Hauptdarstellerin Evelyn Worning unter anderem als mittelalterliches ‚Edelfräulein‘, als Louise Lavallière, und als Teresina Guiccioli, die Geliebte Lord Byrons. Es heißt, sie trug dabei sechzig verschiedene Outfits, die sie selbst aus Amerika mitgebracht hatte, und musste in dem Film auch reiten, jagen, fechten und schießen.8 Ihr männliches Gegenstück, Franz Höbling spielte Richard Löwenherz, Ludwig XIV., Lord Byron und die Hauptfigur der Rahmenhandlung in der Jetztzeit der 1920er-Jahre.9 Kurt Ehrle erschien ebenfalls in vier verschiedenen Rollen, Erika Wagner in drei.10

Das sind nun freilich alles nur Schnipsel und verstreute Details, aber in Summe vermitteln sie, glaube ich, doch einen halbwegs guten Eindruck vom Charaakter des verlorenen Films.

Szene aus Jiskor mit Burg Kreuzenstein im Hintergrund
[Bildquelle: Movies Silently]

7) Jiskor, USA 1924
Produktionsfirma: Gaier Co. Ins., New York. Regie: Sidney M. Goldin.
Hauptdarsteller*innen: Oskar Beregi, Maurice Schwartz, Dagny Servaes.

Der Film wurde – unter dem Arbeitstitel Lebendig begraben – im Sommer 1924 in den Schönbrunner Filmateliers und auf Burg Kreuzenstein gedreht.11 Den Stoff bildet eine jüdische Märtyrerlegende, die im Polen des 16. Jahrhunderts spielt: Die schöne junge Gräfin Helena verliebt sich in den Juden Leipke, doch als dieser ihre Avancen zurückweist, beschuldigt sie ihn, sie bedroht zu haben. Ihr Vater bestraft darauf nicht nur Leipke, sondern die ganze jüdische Gemeinde. Als Helena die Tragweite ihrer Verleumdung bewusst wird, begeht sie aus Verzweiflung Selbstmord. Ihr Vater aber lässt Leipke, den er für den Tod der Tochter verantwortlich macht, lebendig begraben. Da er sich von Leipkes Geist verfolgt fühlt, fällt er am Ende jedoch selbst dem Wahnsinn anheim und erliegt schließlich einem Herzinfarkt.

Das Melodram entstand unter der Leitung des US-amerikanischen Regisseurs Sidney M. Goldin, einem der bedeutendsten Vertreter des frühen jiddischen Films, der von 1920 bis 1925 in Wien lebte und wirkte. Die Hauptrolle übernahm Maurice Schwartz vom Yiddish Art Theatre in New York, der 1924 mit seiner Truppe im Wiener Carl-Theater gastierte. In den übrigen Rollen erschienen neben Mitgliedern von Schwartz’ Ensemble auch bekannte Wiener Theatergrößen wie Oskar Beregi und Dagny Servaes. Es war auch vor allem die Leistung der Schauspieler*innen und der Fokus auf die Figuren, die in den damaligen Kritiken hervorgehoben wurden. Die Wiener Arbeiter-Zeitung etwa schrieb am 1. November 1924:

„Der Film bietet einen erfreulichen Gegensatz zu den überladenen pseudohistorischen Ausstattungsstücken, die gegenwärtig in Wien laufen. Auch übt er starke bildhafte Wirkung aus, durch die schönen Aufnahmen der Burg Kreutzenstein [sic], auf der er gedreht wurde. Aber er beweist, daß auch in einem Film aus der Vergangenheit nicht die Betonung auf Dekorationsprunk und Massenaufzügen liegen muß, daß auch hier der Mensch im Vordergrund stehen und sein Gesicht als Spiegel seiner Seele der Schauplatz der Handlung sein kann.“12

Im Gegensatz zu den meisten anderen Filmen in dieser Liste ist Jiskor erhalten. Er wurde vor einigen Jahren vom National Center for Jewish Film in Waltham, Massachusetts, restauriert und auf DVD herausgebracht. Eine ausführliche Besprechung samt zahlreicher Szenenfotos bietet der (auch sonst sehr empfehlenswerte) Stummfilm-Blog Movies Silently.

Dreharbeiten zu Die zweite Mutter im Wiener Prater
[Bildquelle: Österreichische Nationalbibliothek/ANNO]

8) Die zweite Mutter, Deutschland 1925
Produktionsfirma: Ufa Berlin. Regie: Heinrich Bolten-Baeckers.
Hauptdarsteller*innen: Margarete Lanner, Ninette Melchior, Hanns Mierendorf, Jack Trevor.

Als Letztes noch ein Werk, das ein wenig aus der Reihe fällt: Die zweite Mutter ist kein Märchen- oder Historienfilm, sondern erzählt eine Geschichte aus der Gegenwart der 1920er-Jahre. Den Inhalt gab eine zeitgenössische Rezension wie folgt wieder:

„Der reiche Schloßherr Schönwald hat für sein kleines mutterloses Töchterchen das junge Fräulein van der Verde als Erzieherin engagiert. Das junge Mädchen, das durch den Tod des Vaters plötzlich aus einer Welt des Luxus in die Lage versetzt wird, ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen, bringt ihrem Pflegling ein Herz voll Liebe entgegen, während die zweite Gattin Schönwalds, die berühmte Tänzerin Dorette Petresko, weder für ihr Stieftöchterchen noch für ihren Gatten wärmere Empfindungen hegt. Sie hat nur den reichen Mann geheiratet, um ihrem Liebsten, einem verschuldeten Abenteurer, beistehen zu können. Der betrogene Gatte weist der Unwürdigen und ihrem Seladon die Tür und holt sich Herta van der Verde als richtige zweite Mutter in sein Haus zurück, aus welchem sie Dorettens Hochmut vertrieben hatte.“13

Als romantischen Hintergrund für die Geschichte nutzte der deutsche Regisseur Bolten-Baeckers die landschaftlichen und architektonischen Schönheiten der ehemaligen Habsburger-Monarchie. Die Außenaufnahmen fanden teils an der Adria in Abbazia (heute Opatija in Kroatien) statt, teils in Wien und Umgebung: Im Juni 1925 wurde zwei Wochen lang auf der Trabrennbahn im Prater, auf Schloss Grafenegg und eben auf Burg Kreuzenstein gedreht.14

*

Von den acht Filmen, die ich hier vorgestellt habe, sind meines Wissens nur Das Mirakel und Jiskor erhalten. Das ist eigentlich kein schlechter Schnitt, wenn man bedenkt, dass Schätzungen zufolge 70 bis 90 Prozent aller Stummfilme verloren sind – oder zumindest verschollen. Und wer weiß, vielleicht findet sich ja von dem einen oder anderen Werk in dieser Liste irgendwann doch noch eine lang vergessene Filmrolle. Bis dahin aber sind die alten Beschreibungen, Kritiken und Szenenfotos alles, was uns noch einen Eindruck von ihren zu vermitteln vermag.


1. Gevatter Tod, in: Sport-Tagblatt, 16. Juli 1921, S. 7. [Anno-Link]

2. Neues aus dem Astoria-Atelier, in: Sport-Tagblatt, 5. Mai 1921, S. 6. [Anno-Link]

3. Neues aus dem Astoria-Atelier, in: Sport-Tagblatt, 5. Mai 1921, S. 6. [Anno-Link].

4. Neues aus dem Astoria-Atelier, in: Sport-Tagblatt, 5. Mai 1921, S. 6. [Anno-Link]; Die Filmstadt der Astoria, in: Neues Wiener Journal, 20. Mai 1921, S. 7. [Anno-Link]

5. Eine Kinoaufnahme auf Kreuzenstein, in: Sport-Tagblatt, 25. Mai 1921, S. 5. [Anno-Link]. Eine Schilderung der Dreharbeiten auf Kreuzenstein findet sich auch bei Edith Helen Gitana, Uralte Märchen werden wahr, in: Die Filmwelt, Nr. 14, 1921, S. 7. [Anno-Link]

6. Ein dramatischer Film, in: Wiener Zeitung, 21. Dez. 1922, S. 4. [Anno-Link]; Große Sensation im Stadttheater-Kino, in: Badener Zeitung, 5. Jan. 1923, S. 3. [Anno-Link]

7. Der hinkende Teufel. Ein phantastisches Filmspiel in fünf Akten, in: Wiener Sonn- und Montags-Zeitung, 1. August 1921, S. 5. [Anno-Link]

8. Der Millionenprozeß eines Filmstars, in: Neue Freie Presse, 13. Juli 1921, S. 13. [Anno-Link]

9. Franz Höbling, in: Die Filmwelt, Nr. 10, 1921, S. 6. [Anno-Link]

10. Die Filmwelt, Nr. 12, 1921,S. 14. [Anno-Link]

11. Vgl. Die Stunde, 27. Juli 1924, S. 6. [Anno-Link]; Die Stunde, 23. Aug. 1924, S. 6. [Anno-Link]

12. Jiskor, in: Arbeiter-Zeitung, 1. Nov. 1924, S. 10. [Anno-Link]

13. Die zweite Mutter, in: Das Kino-Journal, 12. Sept. 1925, S. 29. [Anno-Link]

14. Die Stunde, 20. Juni 1925, S. 7. [Anno-Link]; Die Ufa filmt in Wien, in: Die Bühne, Nr. 36, 1925, S. 43-44. [Anno-Link]

Burg Kreuzenstein als Stummfilmkulisse (Teil 1)

Burg Kreuzenstein auf einer Fotografie aus dem Jahr 1916
[Bildquelle: Österreichische Nationalbibliothek/ANNO]

Ein kleines Stück nordwestlich von Wien, auf einer Anhöhe über der Donau, liegt die vielen sicher bekannte Burg Kreuzenstein. Mit ihren Türmen und Türmchen, ihren Zinnen, Wehrgängen und spitzen Dächern wirkt sie wie das Idealbild einer alten Ritterburg, und genau als ein solches Ideal wurde sie in den Jahren um 1900 auch erbaut.

Zugegeben, an derselben Stelle befand sich tatsächlich schon seit dem 12. Jahrhundert eine Burg, doch diese wurde im Dreißigjährigen Krieg von den Schweden gesprengt. Die Ruine wurde darauf für gut zweihundert Jahre von den Bauern der Umgebung als frei verfügbarer ‚Steinbruch‘ für Baumaterial genutzt. So waren Ende des 19. Jahrhunderts nur noch wenige Mauerreste von der alten Burg Kreuzenstein übrig. 1874 jedoch entschloss sich der damalige Besitzer der Anlage, Graf Hanns Wilczek, zum ‚Wiederaufbau‘, der de facto ein Neubau in historisierenden Formen war. In gewisser Weise stellt diese neue Burg Kreuzenstein auch eine architektonische Collage dar, denn einzelne Bauteile wurden tatsächlich von verschiedenen mittelalterlichen Gebäuden entnommen und hier in neuem Kontext wiederverwendet, bei anderen Bau- und Zierelementen handelt es sich um exakte Kopien mittelalterlicher Originale.

Burg Kreuzenstein auf einer Fotografie aus dem Jahr 1916
(Das Bild zeigt den Burghof mit dem sog.
Kaschauer Domgang, einer Arkadenreihe aus der Zeit um 1450, die ursprünglich vom Dom in Kaschau/Košice stammt)
[Bildquelle: Österreichische Nationalbibliothek/Anno]

Das Ergebnis ist eine idealisierte ‚Musterburg‘, die vor allem auf ein romantisches Erscheinungsbild abzielt und sich mehr an modernen Mittelalterklischees orientiert als an ‚authentischen‘ Burganlagen des Mittelalters. Gerade deshalb wurde Kreuzenstein unmittelbar nach der Fertigstellung im Jahr 1906 zu einer beliebten Sehenswürdigkeit – und zur vielgenutzten Filmkulisse.

Wie Andreas Nierhaus in seiner grundlegenden Monographie zu der Burg ausführt, war sie „von Anfang an (…) nicht allein billiger Ersatz für aufwändige Kulissenbauten, sondern durch die spezifische Form ihrer Architektur dazu prädestiniert, in Filmbilder übertragen zu werden.“ Denn, so fährt er fort: „Wie Filmblut, das für gewöhnlich ein stärkeres Rot als in der Realität besitzt, so könnte man das Mittelalter von Kreuzenstein ein bereits für die spätere mediale Übertragung verstärktes Film-Mittelalter nennen.“1

Vor allem seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurden daher auf Kreuzenstein zahlreiche Filme gedreht, darunter Heimatfilme, Horrorstreifen und Softpornos. Der Schwerpunkt lag und liegt aber naturgemäß auf Produktionen aus dem Historien- und Fantasy-Genre; aus jüngster Zeit sind etwa der Kinderfilm Hexe Lilli rettet Weihnachten (2017) oder die Netflix-Serie The Witcher (2019) zu nennen.2 Nicht ohne Grund spricht Nierhaus in der oben zitierten Passage aber davon, dass die Burg „von Anfang an“ als Filmkulisse diente, denn tatsächlich wurde sie bereits während der Stummfilm-Ära immer wieder als Drehort verwendet. Nierhaus selbst etwa behandelt in einem weiter gefassten Abschnitt zur medialen Rezeption von Kreuzenstein exemplarisch zwei Produktionen aus dem Jahr 1912, Die Burg Kreuzenstein bei Wien und Das Mirakel.3

Burg Kreuzenstein auf einer Fotografie aus dem Jahr 1918
[Bildquelle: Österreichische Nationalbibliothek/ANNO]

Unlängst bin ich nun – wieder einmal auf der Suche nach ganz etwas anderem – in einem Zeitungsbericht aus dem Jahr 1920 auf einen weiteren Stummfilm gestoßen, der auf Burg Kreuzenstein gedreht wurde. Neugierig geworden, begann ich darauf, weiter in den von der Nationalbibliothek digitalisierten Medien aus jener Zeit zu stöbern und fand tatsächlich noch einige andere einschlägige Stummfilme, die heute weitgehend vergessen sind und meines Wissens auch in der Literatur zu Kreuzenstein bislang nicht vorkommen. Damit nun auch andere etwas von meiner Neugier haben, will ich hier einmal alle mir inzwischen bekannten Stummfilme mit Kreuzenstein als Drehort zusammenstellen. Die nach wie vor kurze Liste kann natürlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben, bietet aber, wie ich finde, auf jeden Fall interessante Einblicke in die Rezeptionsgeschichte der Burg und in die österreichische Filmgeschichte der 1910er- und 1920er-Jahre:

1) Die Burg Kreuzenstein bei Wien, Österreich 1912
Produktionsfirma: Sascha, Wien. Regie: Sascha Graf Kolowrat.

Dieser frühe Dokumentarfilm hatte, wie der Titel schon suggeriert, die Burg selbst zum Gegenstand. Da er leider nicht erhalten ist, lassen sich über die Details seiner Gestaltung keine näheren Angaben machen. Sicher ist, dass es sich um ein recht kurzes Werk handelte: Zeitgenössische Verleihlisten geben die Länge des Films mit rund 100 Metern an, was einer Laufzeit von etwa fünf Minuten entspricht.4


Filmszene aus Das Mirakel (im Burggraben von Kreuzenstein)
[Bildquelle: Youtube]

2) Das Mirakel, Großbritannien 1912
Produktionsfirma: Joseph Menchen. Regie: Michel Carré und Max Reinhardt.
Hauptdarsteller*innen: Maria Carmi, Douglas Payne, Florence Winston.

Das mit großem Aufwand produzierte Mittelalterspektakel basiert auf dem gleichnamigen Bühnenstück von Karl Gustav Vollmoeller (mit Musik von Engelbert Humperdinck), das wiederum auf eine mittelalterliche Legende zurückgreift. Es handelt von einer jungen Nonne, die von einem Ritter verführt wird und darauf ihr Kloster verlässt, um sich einem unsteten Wanderleben voll weltlicher Genüsse hinzugeben. Als sie viele Jahre später reumütig ins Kloster zurückkehrt, stellt sie fest, dass man ihr Fehlen dort gar nicht bemerkt hat – die Gottesmutter Maria nämlich hat sich ihrer erbarmt und die ganze Zeit ihren Platz im Konvent eingenommen.

Das Mirakel war eine der ersten großen Kinoproduktionen, die nicht im Studio, sondern durchgängig ‚on location‘ gedreht wurde. Die Aufnahmen fanden im Herbst 1912 in der Umgebung von Wien statt: Für die Szenen im Kloster diente die spätgotische Pfarrkirche von Perchtoldsdorf als Kulisse, für die Episoden aus dem weltlichen Leben der entlaufenen Nonne hingegen Burg Kreuzenstein. Wie es in einem zeitgenössischen Bericht heißt, bewirteten der damals noch lebende Erbauer der Burg, Graf Wilczek, und seine Gemahlin „die Darsteller und Statisten in einer Pause in zuvorkommendster Weise.“5

Lange Zeit galt der Film als verloren, doch 2011 wurde bekannt, dass die französische Filmbehörde CNC noch eine Kopie davon in ihrem Archiv besitzt. Diese Fassung (mit französischen Zwischentiteln) ist in voller Länge auf Youtube verfügbar. Ausführlichere Informationen zu dem Film bieten sowohl die deutsch- als auch die englischsprachige Wikipedia.


Filmszene aus Der König amüsiert sich (auf dem Söller von Burg Kreuzenstein)
[Bildquelle: Österreichische Nationalbibliothek/ANNO]

3) Der König amüsiert sich, 1918
Produktionsfirma: Wiener Kunstfilm, Wien. Regie: Jakob Fleck und Louise Kolm.
Hauptdarsteller*innen: Hermann Benke, Liane Haid, Wilhelm Klitsch.

Der 1917 gedrehte und Anfang 1918 veröffentlichte Streifen basiert auf dem gleichnamigen Schauspiel Victor Hugos, das vor allem in Giuseppe Verdis Opern-Bearbeitung Rigoletto berühmt geworden ist. Das Stück dreht sich um einen Hofnarr, dessen Tochter entführt wird, um dem König als Mätresse zu dienen. Um Rache zu nehmen, versucht der Narr, den König zu ermorden, tötet dabei aus Versehen jedoch seine eigene Tochter. Wie die Geschichte im Detail für den Film umgesetzt wurde, lässt sich leider nur mehr ansatzweise beurteilen, da der Streifen offenbar nicht erhalten ist. Zeitgenössische Kritiken priesen ihn jedenfalls als „ein meisterhaftes Kulturgemälde“, das die „Leichtfertigkeit und Lasterhaftigkeit“ des mittelalterlichen französischen Königshofes vortrefflich schildere. Der Film sei so „naturgetreu und plastisch (…), daß man gar nicht dazu kam, das gesprochene Wort zu entbehren.“6

Laut einer Kritik der Grazer Mittags-Zeitung handelte es sich um einen „Kolossalfilm, wo große Waffenszenen zur Darstellung gelangen“, ja sogar um „eines der besten Werke, das je die Filmtechnik geschaffen.“7 Etwas zurückhaltender gab sich die Wiener Allgemeine Zeitung. Sie schrieb, Der König amüsiert sich sei „ein netter, feiner Film geworden, wirksam mit den einfachsten natürlichen Mitteln, ohne weither geholte Effekte.“ Auch sie lobte das Werk jedoch abschließend als „eine Reihe schöner eindrucksvoller Szenen, in denen sich die durchwegs erstklassigen Darsteller zu diesen mittelalterlichen Genrebildern stellen, die in ihrem Zusammenhang die packendste Romanze ergeben.“8 Die Neue Freie Presse zeigte sich wiederum enthusiastisch und fand den Film „unerreicht an dramatischer Wirkung und glanzvoller Ausstattung.“9

Filmszene aus Der König amüsiert sich (im Arkadenhof des Wiener Rathauses)
[Bildquelle: Österreichische Nationalbibliothek/ANNO]

Die Marburger Zeitung schließlich fasste zusammen: „Prachtvolle Naturaufnahmen, vornehme Ausstattung und vor allem die ausgezeichnete Darstellung durch erste Wiener Bühnenkünstler (…) erzielen allgemeine Bewunderung und volle Anerkennung.“10 Die hier gelobten prachtvollen Aufnahmen entstanden zu einem großen Teil auf Burg Kreuzenstein. Als Kulisse diente aber auch das neugotische Wiener Rathaus, dessen Arkadenhof zum königlichen Thronsaal umgestaltet wurde. Auch zu diesem Film gibt es einen kurzen Wikipedia-Eintrag mit weiteren technischen Details.


Filmszene aus Das tapfere Schneiderlein (vor der Burg Kreuzenstein)
[Bildquelle: Österreichische Nationalbibliothek/ANNO]

4) Das tapfere Schneiderlein, Österreich 1920
Produktionsfirma: Staatliche Filmstelle, Wien. Regie: Rudolf Walter.
Hauptdarsteller*innen: Karl Etlinger, Josef Holub, Mutz Perry, Rudolf Walter.

Der auf dem bekannten Märchen basierende Film ist eine Produktion der Staatlichen Filmstelle, die 1919 nicht zuletzt dafür ins Leben gerufen worden war, um mithilfe des Mediums Film den österreichischen Tourismus anzukurbeln. Nicht lange nach dem Zusammenbruch der Habsburgermonarchie entstanden, sollte Das tapfere Schneiderlein „der Propagierung landschaftlicher und baulicher Schönheiten Österreichs dienen.“11 Der Leiter der Filmstelle, Karl Imelski, betonte, dass sich Kreuzenstein besonders als Drehort für einen solchen Märchenfilm eignete, da die Burg „selbst Wahrheit gewordenes Märchen verklungener Zeiten“ sei.12 In einer Notiz vom August 1920 führte Das interessante Blatt dazu aus:

„Im Film für Fremdenverkehr werden alle Naturschönheiten und baulichen Sehenswürdigkeiten behandelt, um anregend auf diesen Zweig modernen Wirtschaftslebens zu wirken. Diesem Zwecke ist der prachtvolle Märchenfilm ‚Das tapfere Schneiderlein‘ gewidmet. Die Vorgänge des heiteren Märchenspieles sind in die Burg Kreuzenstein verlegt, dieses einzigartigen Denkmals mittelalterlicher Baukunst, dessen Renovierung im strengsten Anschluß an den Burgenstil des 14. Jahrhunderts eine Sehenswürdigkeit ersten Ranges geschaffen hat. Der architektonische Hintergrund gibt den Märchenszenen ihre Bedeutung und wird wesentlich dazu beitragen, die Kenntnisse dieses Baues in die breiten Massen zu tragen.“13

Filmszenen aus Das tapfere Schneiderlein (auf Burg Kreuzenstein)
[Bildquelle: Österreichische Nationalbibliothek/ANNO]


– Ende des ersten Teils –
Teil 2 mit vier weiteren Filmen folgt nächste Woche


1. Andreas Nierhaus, Kreuzenstein. Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne, Wien 2014, S. 212–213.

2. Zur Rezeption der Burg im Film vgl. Nierhaus, Kreuzenstein (wie Anm. 1), S. 211–218. Einen aktuellen Überblick zu Filmen, die auf Kreuzenstein gedreht wurden, bietet der Wikipedia-Eintrag zur Burg.

3. Nierhaus, Kreuzenstein (wie Anm. 1), S. 212f.

4. Vgl. Kinematographische Rundschau, 7. April 1912, S. 16 [Link], bzw. 14. Mai 1912, S. 24 [Link].

5. Kinematographische Rundschau, 6. Okt. 1912, S. III [Link].

6. Die Zitate aus: Kinematographische Rundschau, 27. Okt. 1917, S. 66 [Link].

7. Grazer Mittags-Zeitung, 26. Jan. 1918, S. 2 [Link], bzw. 13. April 1918, S. 2 [Link].

8. Wiener Allgemeine Zeitung, 24. Okt. 1917, S. 4 [Link].

9. Neue Freie Presse, 1. Feb. 1918, S. 10 [Link].

10. Marburger Zeitung, 9. Juni 1918, S. 4 [Link].

11. Das interessante Blatt, 19. Aug. 1920, S. 10 [Link].

12. Neues Wiener Tagblatt, 22. Sept. 1910, S. 5 [Link].

13. Das interessante Blatt, 19. Aug. 1920, S. 10 [Link].