Die alte Hietzinger Friedhofskapelle

Wer sich für die neugotische Architektur des 19. Jahrhunderts interessiert, wird in Wien nicht zuletzt auf den diversen Friedhöfen fündig. Hatte ich letztes Mal schon über das Rinnböck-Mausoleum in Simmering berichtet, so geht es diesmal ans andere Ende der Stadt nach Hietzing, quasi vom Arbeitervorort ins Nobelviertel. Aufgrund der Nähe zum kaiserlichen Schloss Schönbrunn wurde Hietzing im 19. Jahrhundert mehr und mehr zum beliebten Wohnort für die Wiener Upper Class. Innerhalb weniger Jahrzehnte entstanden in dem einst ländlichen Ort zahlreiche Villen – und auf dem örtlichen Friedhof die dazugehörigen Mausoleen. Eines der auffälligsten darunter ist die Familiengruft der Odescalchi, bei der es sich jedoch eigentlich um die alte Friedhofskapelle handelt. Im älteren Teil des Friedhofs gelegen, wurde sie 1857 im Stil der Neugotik errichtet.

Neugotische Formen waren im 19. Jahrhundert bei Sakralbauten beliebt, weil das Mittelalter als Ideal einer christlichen Epoche galt. In Wien bzw. in Österreich setzte sich der Stil dennoch vergleichsweise langsam und später als zum Beispiel in München oder Berlin durch. Gerade Mitte der 1850er-Jahre ging es aber mit den Planungen für die Wiener Votivkirche und den Neuen Dom in Linz auch hierzulande so richtig mit der Neugotik los. Während dort mit Heinrich Ferstel respektive Vincenz Statz Architekten der jungen Generation zum Zug kamen, wurde der Entwurf der Hietzinger Friedhofskapelle jedoch einem Veteranen anvertraut: dem k. k. Architekt und Hofbau-Ingenieur Johann Rupp (1791–1872). Während Votivkirche und Linzer Dom bereits den Übergang zum historisch korrekten, strengen Historismus markieren, gestaltete Rupp die Kapelle noch ganz im Sinne des älteren romantischen Historismus, der mehr an einem phantastisch-märchenhaften Erscheinungsbild interessiert war als an einer originalgetreuen Wiedergabe vergangener Baustile. So wirkt die Friedhofskapelle für ihre Zeit bereits ein klein wenig altmodisch.

Der Bau weist eine denkbar einfache Grundstruktur auf: Er erhebt sich auf rechteckigem Grundriss und wird von einem Giebeldach bedeckt. Die Ecken allerdings sind durch wuchtige, mit gotischen Fialen bekrönte Pfeiler betont, die Giebel im Stil der Tudorgotik abgetreppt. An der Stirnseite erhebt sich über dem Giebel ein zierliches Türmchen, das oben von einer Maßwerkbrüstung und einer polygonalen, krabbenbesetzten Spitze abgeschlossen wird.

Die massiven Quaderwände des Baus werden an den Längsseiten nur durch je ein zweibahniges Maßwerkfenster aufgelockert, an der Rückseite hingegen durch eine Fensterrose. An der Frontseite schließlich bildet ein gotisches Wimpergportal den einzigen Eingang zum Kapellenraum.

Im Wimperg prangen die Familienwappen der Esterházy und der Batthyány, denn die Friedhofskapelle entstand im Auftrag der Gräfin Jeanette Esterházy, eigentlich Johanna von Esterházy de Galántha, geb. Gräfin Batthyány (1798–1880). Im Wiener Kulturleben ihrer Zeit war sie eine prominente Figur, tat sich vor allem als Förderin von Musikern und Komponisten hervor, brillierte aber auch selbst als Virtuosin auf der Harfe. Ihren Unterricht auf dem Instrument erhielt sie durch keinen Geringeren als Elias Parish Alvars (1808–1849), den sie zugleich als Mäzenin unterstützte. Nach dessen Tod förderte sie vor allem den Komponisten und Harfenisten Johann Dubez (1828–1891). Auch zu Franz Liszt und Fréderic Chopin unterhielt sie zeitweise enge Kontakte, und Letzterer widmete ihr 1842 sein Impromptu Nr. 3 Ges-Dur op. 51.

Nachdem Jeanette Esterházy 1852 eine Villa in Hietzing bezogen hatte, wurde sie auch zu einer wichtigen Patronin der dortigen Pfarrkirche, die als Wallfahrtsziel am Rande von Wien eine gewisse lokale Bedeutung hatte. Unter anderem stiftete die Gräfin ein goldbesticktes Antependium aus rotem Samt für den Altar und einen Baldachin für das Fronleichnamsfest aus demselben Material.

Ihre nachhaltigste und monumentalste Stiftung war jedoch die Kapelle im Hietzinger Friedhof. Diese war freilich nicht ganz uneigennützig: Obwohl das Bauwerk als öffentliche Friedhofskapelle für Einsegnungen benutzt wurde, war es gleichzeitig als Grablege für die Stifterin und ihren Mann, Alois Esterházy de Galántha (1780–1868), konzipiert. Nachdem 1912–1913 eine neue Kapelle für den mittlerweile mehrfach erweiterten Friedhof errichtet worden war, übernahm der Bau von 1857 endgültig die Rolle einer Familiengruft. Da Jeanette und Alois Esterházy keine direkten Nachkommen hatten, ging die Kapelle an die mit den Esterházy verschwägerte Familie Odescalchi über. Seither wird das Gebäude daher meist als Odescalchi-Mausoleum bezeichnet – was allerdings seinen Ursprung unkenntlich macht und die Erinnerung an seine Stifterin verschleiert.

 

Die Rinnböck-Kapelle und die Rinnböck-Häuser in Simmering

Wie am Ende des vorigen Beitrags angekündigt, geht es heute noch einmal auf den Simmeringer Friedhof im Südosten Wiens. Allerdings nicht wie letztes Mal auf den alten, rund um die Kirche gelegenen Teil, sondern in den neuen, der seine Entstehung den Erweiterungen des 19. Jahrhunderts verdankt. Direkt am Fuß des Kirchhügels steht dort das wohl prominenteste Monument dieses Friedhofs, die sogenannte Rinnböck-Kapelle.1 Der kleine neugotische Bau wurde 1869 von Josef Rinnböck (1816–1880) als Grablege für sich und seine Familie errichtet.

Die Rinnböck-Kapelle am Simmeringer Friedhof [Dezember 2011]

Der Unternehmer und Lokalpolitiker Rinnböck, nach dem in Simmering sogar eine Straße benannt ist, zeichnete sich nicht zuletzt durch sein soziales Engagement aus. Zu seinen Verdiensten zählt unter anderem die Errichtung günstiger Arbeiterwohnungen, der nach ihm benannten Rinnböck-Häuser, an der Simmeringer Hauptstraße (Nr. 1-3). Zwischen 1861 und 1865 als Arbeitergroßwohnhof erbaut, reagierten diese auf das starke Bevölkerungswachstum in Wien und seinen Vororten und auf die daraus resultierende Wohnungsnot vor allem für die Arbeiterschicht. Obwohl sie sich somit einer privaten Initiative verdanken, markieren die Rinnböck-Häuser gewissermaßen den Beginn des modernen sozialen Wohnbaus in Wien, für dessen kommunal geförderte Variante die Stadt bald darauf berühmt werden sollte. Zum Zeitpunkt ihrer Errichtung stellten sie die größte Wohnanlage im Gebiet des heutigen Wien nach dem Freihaus auf der Wieden dar. Damals freilich lagen sie noch nicht in Wien, denn Simmering war noch ein selbständiger Vorort außerhalb der Stadt und sollte erst 1892 eingemeindet werden. Gerade der Bau der Rinnböck-Häuser stellte in gewisser Weise einen wichtigen Schritt im rasch voranschreitenden Prozess der Verstädterung und Industrialisierung Simmerings dar, der den ländlichen Charakter des Orts innerhalb weniger Jahrzehnte gänzlich verschwinden ließ.

Rinnböck-Haus an der Simmeringer Hauptstraße [September 2014]

Trotz seiner nicht zu leugnenden stadtgeschichtlichen Bedeutung ist von dem ehemaligen Großwohnhof heute allerdings nicht mehr allzu viel übrig. Nur eines der Rinnböck-Häuser – das auf Nr. 3 – ist noch erhalten, und rein architektonisch und ästhetisch macht auch dieses zugegebenerweise nicht viel her. Obwohl es von der Bauzeit her bereits in die Epoche des Historismus fällt, erinnert es in seiner Kargheit noch mehr an die schlichten Wohnbauten des Biedermeier. Dennoch ist das Gebäude auch architekturgeschichtlich durchaus interessant, zwar nicht aufgrund seiner äußeren Erscheinung, aber durch das, was sich im Inneren verbirgt. Seines Zeichens Deichgräbermeister, war Josef Rinnböck nämlich maßgeblich am Abbruch der Wiener Stadtmauern beteiligt: Zwischen 1859 und 1866 war seine Firma für Demolierungsarbeiten an Gonzagabastei, Burgbastei, Augustinerbastei sowie weiteren Wällen und Toren der Stadt verantwortlich, um Platz für die neu projektierte Ringstraße zu schaffen. Das dabei anfallende Abbruchmaterial verwendete der praktisch denkende Unternehmer dann gleich als billiges Baumaterial für die nach ihm benannten Wohnhäuser in Simmering.

Rinnböck-Kapelle, Ansicht von vorne [Januar 2013]

Während es sich bei den Arbeiterhäusern um reine Zweckbauten ohne künstlerischen Anspruch handelt, ist die wenige Jahre später entstandene Gruftkapelle am Friedhof ein repräsentatives ‚Schmuckstück‘, in dem die gesellschaftliche Stellung (und der Reichtum) des Auftraggebers deutlich zum Ausdruck kommt.

Rinnböck-Kapelle, seitliche Ansicht [Januar 2013]

Der zierliche Bau wurde in neugotischen Formen mit großem Aufwand an architektonischem und skulpturalem Dekor gestaltet. Er erhebt sich auf achteckigem Grundriss, wobei allerdings die (vom Eingang gesehen) seitlichen Wände etwas länger sind als die übrigen. Jede der acht Seiten wird von einem hohen Wimperg bekrönt. Die Wimperge sind von Maßwerkrosetten durchbrochen und mit Krabben besetzt. In den Ecken dazwischen ragen schlanke Fialen auf, an deren Fuß jeweils löwenartige Tiere angebracht sind. Diese imitieren die phantastischen Wasserspeier gotischer Kathedralen, ohne allerdings tatsächlich diese Funktion einzunehmen. Sie bilden hier ein reines Zierelement. Die fast wie eine Krone um den Bau gelegte Reihe von Wimpergen findet ihre Fortsetzung und ihren Abschluss im hochaufragenden Dach, das von einem schlanken Türmchen bekrönt wird.

Rinnböck-Kapelle, Detail der Seitenansicht [Januar 2013]

Den Höhepunkt des skulpturalen Dekors bildet jedoch das Portal an der Stirnseite. In seinem Tympanon erscheint ein Engel mit einem Schriftband, darauf die Worte: Ruhestätte der Familie Rinnböck.

Portal der Rinnböck-Kapelle [Dezember 2011]

Als geradezu perfekte neugotische Kleinarchitektur kommt dem Rinnböck-Mausoleum innerhalb der Wiener Friedhofsarchitektur eine herausragende Stellung zu. Dennoch stand es bis vor wenigen Jahren eher schlecht um seine Erhaltung: Von Pflanzen überwuchert, mit großflächig abbröckelndem Verputz, präsentierte es sich in einem verfallenden Zustand, der zwar durchaus etwas Romantisches hatte, aber wenig Gutes für die Zukunft des Bauwerks erwarten ließ.

Die Rinnböck-Kapelle im Sommer 2007
[Bild: Invisigoth67/Wikimedia Commons, Lizenz CC BY-SA 3.0]

Den Bemühungen der Simmeringer Friedhofsgärtnerin Traude Fritz ist es zu verdanken, dass es vor rund zehn Jahren doch noch zur dringend nötigen Instandsetzung der Rinnböck-Kapelle kam. Von 2011 bis 2012 wurde der Bau einer umfassenden Restaurierung unterzogen und zeigt sich nun wieder in einem Zustand, wie er Josef Rinnböcks ursprünglichen Intentionen entspricht.


1. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass der vorliegende Beitrag teilweise älteres Material wiederverwendet: Sowohl über die Rinnböck-Kapelle als auch über die Rinnböck-Häuser habe ich vor acht bzw. sechs Jahren schon im alten Baudenkmäler-Blog etwas geschrieben. Leser*innen mit besonders gutem Gedächtnis wird hier daher manches bekannt vorkommen.
Wie man schon anhand der Jahreszeit erkennen kann, sind auch die Bilder nicht ganz aktuell, sondern (mit einer Ausnahme) aus meinem Archiv. Sie haben dafür den Vorteil, mehr oder weniger unmittelbar nach Abschluss der letzten Restaurierung entstanden zu sein und das Gebäude quasi im ‚Top-Zustand‘ zu zeigen.